Hansi Müller, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere machten und heute beruflich machen?
Nach meiner Karriere war ich als Medienexperte für diverse Sender in Deutschland, Italien und Österreich unterwegs. Heute halte ich Motivationsvorträge für Führungskräfte.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Gehören Stadionbesuche dazu?
Ich spiele in meiner Freizeit sehr viel Golf und gehe auch noch regelmäßig ins Stadion zum VfB Stuttgart. Ich hoffe, dass es bald wieder möglich ist vor Ort zuzuschauen.
Sie spielten für den VfB Stuttgart, Inter Mailand, Como und den FC Tirol in Innsbruck. Wo hat es Ihnen als Spieler in Ihrer Karriere unabhängig vom Erfolg am meisten Spaß gemacht? Welche Stadt hat Ihnen am besten gefallen?
Mir hat es überall gut gefallen. Mein größter Karriereaufstieg war natürlich beim VfB, wo ich Nationalspieler wurde. Der Spaßfaktor war allerdings bei Innsbruck in Tirol am höchsten, weil die Stadt schon einiges bietet. Dort sieben Jahre zu leben war etwas ganz Besonderes und das haben wir als Familie sehr genossen.
Gibt es Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Natürlich ist ein WM-Endspiel ein großes Highlight. Da wurde ich in den letzten 20 Minuten eingewechselt. Damals, 1982, kam ich für Kalle Rummenigge ins Spiel. Das bleibt mir natürlich immer ganz besonders im Gedächtnis. Auch Europameister zu werden war etwas ganz Tolles. Dann gab es noch ein Spiel mit Swarovski Tirol im Achtelfinale des UEFA-Cups gegen Spartak Moskau kurz vor Weihnachten. Da sind wir weitergekommen und es war von den Emotionen her ein absolutes Highlight. Weihnachtsstimmung, ein ganzes Stadion voll mit Wunderkerzen. Da bekomme ich noch heute eine Gänsehaut.
Sie gewannen mit der A-Jugend des VfB Stuttgart 1975 die deutsche Meisterschaft und bekamen danach einen Profivertrag beim VfB. Sie wurden schnell Stammspieler. Mussten Sie aufpassen, dass Sie auf dem Boden bleiben?
Da ist es wichtig, dass man das richtige Umfeld hat. Die Eltern, die Partnerin und der Freundeskreis müssen dich da schon beim Ansatz des Abhebens zurück auf den Boden holen. Das hat bei mir Gott sei Dank gepasst. Es ist ganz wichtig, dass man bei einem so rasanten Aufstieg mit Anfang 20 jemanden hat.
Als Spielmacher waren Sie in der Bundesliga-Torjägerliste immer sehr weit vorne dabei. Woran lag es, dass Sie nach Ihrem Wechsel zu Inter Mailand 1982 deutlich weniger trafen?
Das stimmt. Ich habe viele Tore, vor allem auch Fernschusstore erzielt. Das war eine meiner Spezialitäten. Mir war es aber genauso wichtig, Vorlagen und Flanken zu bringen. In Mailand lief es nicht mehr so gut. Ich war zweimal länger verletzt und da fehlte die Kontinuität. Weniger Spiele, weniger Tore. Der Spielrhytmus und die Spielpraxis haben einfach gefehlt.
Wie kam es zu dem Wechsel nach Italien? Hatten Sie schon einen Berater?
Zum Wechsel nach Italien kam es so, dass der damalige Schatzmeister von Hertha BSC Berlin, ein Bekannter von mir, einen guten Draht zu Inter Mailand hatte und diesen Wechsel eingefädelt hatte. Er war aber nicht mein Berater. Meine Eltern, die Familie war sozusagen mein Management.
Die Serie A in Italien galt in den 80ern als das Maß der Dinge. Die Stadien waren voll, während in Deutschland das Interesse an der Bundesliga deutlich geringer war. Wie haben Sie den Unterschied in den Stadien stimmungstechnisch erlebt?
Ja, die Stadien damals waren voll in Italien. Es wurde leider immer weniger. Die Leute müssen auf ihr Geld schauen, weil die Eintrittspreise in Italien sehr hoch sind. Viele Italiener haben TV-Abos und schauen den Fußball deshalb von zu Hause. Stimmungstechnisch lag der Unterschied darin, dass in Italien Fußball Religion ist und viel mehr Emotionen dabei sind. Aber inzwischen hat Deutschland die Italiener klar überholt. Es ist ja Wahnsinn, welch hohe Zuschauerschnitte die 1. und 2. Bundesliga haben. Auch was die Choreografien angeht ist Deutschland inzwischen absolut führend.
Wie unterschied sich Ihr Tagesablauf beim VfB Stuttgart und bei Inter Mailand?
Der Tagesablauf war eigentlich ähnlich. Allerdings waren wir bei Inter über den Tag in der Hotelanlage am Trainingsgelände. Morgens Training, Mittagessen, Mittagsschlaf und wieder Training. Es war also alles etwas zeitintensiver als in Stuttgart.
1984 wechselten Sie nach zwei Jahren bei Inter Mailand als absoluter Stammspieler zum Serie A-Aufsteiger Calcio Como. Was zog Sie vom Topverein Inter zum Aufsteiger an den Comer See?
Ich hatte einen Dreijahresvertrag bei Inter und es durften nur zwei Ausländer spielen. Ein neuer Präsident kam und ein neues Management. Da hieß es, dass die zwei aktuellen Ausländer weg müssen, weil mit Kalle Rummenigge und Liam Brady zwei Neue geholt wurden. Ich wurde nach Como ausgeliehen, weil kein Platz mehr für mich war. Ich wohnte damals ganz in der Nähe von Como, weil auch das Trainingsgelände von Inter nur 15 km von Como entfernt war. Das war für mich eine gute Lösung.
In Como lief es nicht wie erwünscht und Sie gingen nach nur einer Saison 1985 nach Österreich zum FC Tirol? Spielten Sie nicht mit dem Gedanken in die Bundesliga zurückzukehren oder wollten Sie es entspannter angehen im beschaulichen Österreich? Sie waren mit 27 doch eigentlich im perfekten Fußballer-Alter.
Es stimmt. In Como lief es nicht wie erwünscht. Ich habe auch nur die Hälfte der Spiele gemacht. Der Abstiegskampf war eine ganz neue Erfahrung für mich. Letztendlich haben wir es mit einem 0:0 gegen den AC Mailand aber geschafft in der Serie A zu bleiben. Es lagen einige Angebote aus Deutschland vor und es war auch immer ein Thema, aber ich bekam einen super Vertrag bei Innsbruck. Wir waren auch sehr erfolgreich. Zweimal wurde ich Meister, einmal holten wir sogar das Double. Wie schon gesagt, hat es uns sehr gut in Innsbruck gefallen und da war für mich schon klar, dass ich meine Karriere dort auch beenden wollte.
Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Karriere alles richtig gemacht haben oder gab es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Die Karriere hätte sicherlich noch etwas erfolgreicher verlaufen können, aber da waren meine beiden schweren Knieoperationen schon ein Handicap. Anders machen würde ich nicht unbedingt etwas, weil die Verletzungen sucht man sich ja nicht aus, damit muss man fertig werden. Mir ist auch bewusst geworden, dass die Verletzungen mich verändert haben, dass ich immer wieder aus Krisensituationen herausgekommen bin. Speziell durch die Unterstützung meiner damaligen Frau. Das waren wichtige Erfahrungen, um als Mensch zu reifen. Darum möchte ich diese Erfahrungen aus heutiger Sicht auch nicht missen.
Ist es Ihnen schwergefallen vom einen auf den anderen Tag von der großen Fußballbühne zu steigen?
Es ist mir nicht schwergefallen, da mir klar war, dass die Belastung für das Knie mit 33 Jahren immer schwieriger wird. In Innsbruck hatten wir im Herbst und Winter schlechte Bodenverhältnisse, was eine große Belastung darstellte. Ich hatte ein gutes Angebot, um nach dem Karriereende bei Swarovski im Marketing-Bereich zu arbeiten, was ich auch für zwei Jahre gemacht habe. Das war ein guter Umstieg vom Fußball ins normale Berufsleben.
Stehen Sie noch mit ehemaligen Mannschaftskameraden in Kontakt oder haben sich gar Freundschaften entwickelt, die sie heute noch pflegen?
Es haben sich natürlich Freundschaften entwickelt, so dass man auch mal mit dem ein oder anderen Mitspieler in Urlaub gefahren ist. Auch heute habe ich noch Kontakte nach Mailand und Innsbruck zu ehemaligen Mitspielern. Hier in Stuttgart treffe ich mich auch regelmäßig mit den Förster-Brüdern im Stadion.
Sie wurden unter anderem Europameister und Vize-Weltmeister. Wäre mit dieser Erfahrung und diesen Erfolgen nicht eine Trainerkarriere die logische Konsequenz gewesen?
Mit dieser Erfahrung kann man eine Trainerkarriere natürlich anstreben, aber das habe ich aus Selbstschutz nicht gemacht. Ich bin sehr temperamentvoll und hätte mich an der Außenlinie nicht im Griff, speziell wenn einer meiner Spieler von hinten vor der Bank umgegrätscht werden würde. Da würde ich ausrasten. Deswegen ist es besser, dass ich diese Trainerlaufbahn nicht eingeschlagen habe.
Verfolgen Sie den Weg Ihrer ehemaligen Vereine noch?
Natürlich verfolge ich Inter und Innsbruck noch immer, weil es einfach auch schön ist noch den ein oder anderen Kontakt zu den Funktionären zu haben. Ich schaue dann immer in die verschiedenen Apps, was meine Ex-Vereine machen.
Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen?
Den meisten Eindruck hat mein Trainer beim VfB Stuttgart hinterlassen, Jürgen Sundermann. Ein unglaublicher Motivator. Der hat uns richtig mitgerissen und mitgenommen. Er zeigte eine große Wertschätzung gegenüber seiner Spieler. Ein Trainer, der sehr viel in der Mannschaft bewirken konnte und Teamspirit kreiert hat. Deshalb waren wir in dieser Zeit auch so erfolgreich.
Gab es einen Mitspieler, der Sie beeindruckt hat?
Mich hat mein damaliger Kollege in Stuttgart, Karl-Heinz Förster, sehr beeindruckt, der aus meiner Sicht der beste Vorstopper der Welt war. Wir haben nach dem Training immer noch einige Sondereinheiten eingelegt, in denen ich lange Bälle geschlagen habe und er die Dinger aus dem dritten Stock zurückgeköpft hat. Er hatte eine super professionelle Einstellung. Nicht nur ein exzellenter Abwehrspieler, sondern auch ein super Fußballer.
Wer war Ihr unbequemster Gegenspieler?
Das war mit Sicherheit Werner Lorant. Da gab es von der ersten bis zur letzten Minute den Ellbogen in die Rippen und Sprüche, mit denen er mich mental bearbeitet hat. So konnte ich mich nie hundertprozentig auf das Spiel konzentrieren. Der wird mir ewig in Erinnerung bleiben.
Gab es ein Vorbild für Sie als Spieler?
Mein großes Vorbild war Pelé. Ich habe ihn als kleiner Kerl verfolgt und gesehen, welch kompletter und wunderbarer Fußballer er ist. Auch seine Statements und das Verhalten neben dem Platz waren absolut vorbildlich. Deswegen hat mich Pelé, mit der 10 damals, sehr, sehr beeindruckt.
Wer war das größte Partytier während Ihrer Karriere?
Wir hatten bei der Nationalmannschaft immer mal wieder ein paar Jungs, die nachts gerne um die Häuser gezogen sind. Aber ich denke das ist normal, wenn man zwischen 20 und 30 Jahre alt ist. Das war eine schöne Zeit. Ich glaube heute ist es schwieriger, weil mit dem Smartphone alles festgehalten werden kann und alles direkt in die Öffentlichkeit gelangt.
Sie haben im Maracanâ, Bernabéu oder im El Monumental-Stadion gespielt. Wird man in solch geschichtsträchtigen Stadien nicht ehrfürchtig? Welches Stadion war das Schönste in dem Sie je gespielt haben?
Im Maracanâ habe ich vor 150.000 Zuschauern gespielt. Da wird man tatsächlich ehrfürchtig. Vor allem, wenn ein Raunen durch die Menge ging, weil die Brasilianer ihre Kabinettstückchen zeigten. Das ist unglaublich. Das war auch das Schönste für mich, weil es als Erlebnis so beeindruckend war. Obwohl natürlich Bernabéu in Madrid auch ein tolles Stadion ist, aber von den Emotionen ist Maracanâ unschlagbar. Aber auch der Tempel in San Siro in Mailand ist durch den Umbau ein ganz besonderes Stadion.
Spielerstationen:
1975 - 1982 VfB Stuttgart
1982 - 1984 Inter Mailand
1984 - 1985 Como Calcio
1985 - 1990 FC Swarovski Tirol Österreichischer Meister 1989, 1990
Pokalsieger 1989
1978 - 1983 Deutschland Europameister 1980, Vize-Weltmeister 1982