"Klinsmann übertrug den Eigensinn, den ein Top-Stürmer, der er war, braucht, leider auf das gesamte Leben."
Helmut Roleder spielte über 400 mal für den VfB Stuttgart. Im Meisterjahr 1984 schaffte er es sogar in die Nationalmannschaft. Über besonders gute Trainer, beeindruckende Mitspieler und seine Probleme damit, in der Öffentlichkeit mehr Gier nach der Nationalmannschaft zu zeigen, hat er unter anderem mit uns gesprochen.
von Mario Gailing
Helmut Roleder, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere machten und heute beruflich machen?
Ich konnte wegen einer schnell fortschreitenden Hüftarthrose ab Ende der Saison 1985/86 meinen Profi-Vertrag nicht mehr erfüllen. Zunächst wurde ich Co-Trainer von Egon Coordes und dann Koordinator Jugend/Amateure beim VfB Stuttgart. Parallel dazu habe ich 1988 in einem Zeitungsverlag angefangen – mit einem wöchentlichen Sportkommentar. Daraus wurden 900! Ich habe mich in die Verlagsleitung emporgearbeitet und zusätzlich eine sehr erfolgreiche Veranstaltungsagentur aufgebaut und geleitet. Danach machte ich mich selbständig im Bereich Seminare, Coachings, Vorträge. Heute, als Rentner, engagiere ich mich als Netzwerker, zum Beispiel im Bereich Vermittlung von Appartements in Pflegeimmobilien (YouTube: Roleder66) und komme als Botschafter des VfB zum Einsatz.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Gehören Stadionbesuche dazu?
Bis Corona war ich bei jedem Heimspiel. Das gehört auch zu meiner Botschafter-Tätigkeit. Ansonsten Sport, den der Körper noch zulässt, beispielsweise Radfahren. Gerne besuche ich mit meiner Frau Events. Wenn es wieder erlaubt ist. Netzwerken im Businessbereich macht mir auch Spaß.
Sie haben ab der Jugend bis zu Ihrem Karriereende ausschließlich für den VfB Stuttgart gespielt. Hatten Sie nie den Gedanken zu wechseln?
Als solider, familiärer Schwabe wollte ich meine ganze Karriere über beim VfB spielen. Es war und ist mein Herzensverein.
Es gab sicher viele Anfragen. Welche Clubs haben Sie abblitzen lassen?
Da ich meinen Vertrag immer frühzeitig verlängerte und damals noch weniger gewechselt wurde als heutzutage, gab es kaum Anfragen.
Gibt es Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Das Spiel in Bremen 1984, das uns die Meisterschaft bescherte. Es war das erste Spiel nach meinem zweiten Nierenriss. Trainer Benthaus schenkte mir das Vertrauen, obwohl ich alles andere als topfit war und einen speziellen Schutz tragen musste. Er baute in dieser schwierigen Situation auf meine Erfahrung. Unser Sieg und meine Leistung gaben ihm Recht.
Stört es Sie nicht, dass viele Menschen, trotz Ihrer sehr erfolgreichen Laufbahn, mit Ihrem Namen zuerst den Torhüter verbinden, der die erste Rote Karte für eine Notbremse erhalten hat? Wie kam es dazu?
Es stört mich nicht. Ich wollte eine zu kurze Rückgabe vor dem Strafraum erlaufen. Der Bochumer Christian Schreier kam vor mir an den Ball und spitzelte ihn vorbei. Ich warf mich nach dem Ball und als ich ihn nicht erwischte, hielt ich Schreier am Bein. Vor der Saison hatte der DFB wohl beschlossen, dass ein Foul des Torhüters außerhalb des 16ers als Notbremse gewertet wird. Das wusste ich nicht. Allerdings hätte es nichts an meiner Tat geändert, da es eine instinktive Handlung war – und das Foul harmlos.
In den ersten drei Jahren kamen Sie als ganz junger Torwart nur sporadisch zum Einsatz in der Bundesliga. Wird man da nicht ungeduldig und sieht seine Karriere in Gefahr?
Da ich in der Jugendnationalmannschaft gespielt hatte, war es nicht einfach nur Ersatz zu sein. In meinem fünften Bundesligaspiel stürmten wir den Bieberer Berg in Offenbach und besiegten die Kickers. Ich hielt einen Elfmeter und erlitt bei einem Zusammenprall einen Schienbeinbruch, der mich monatelang außer Gefecht setzte. Sonst wäre ich damals eventuell zum Stammtorhüter aufgestiegen. Ich war stets überzeugt, ich schaffe es noch!
Der VfB Stuttgart stieg 1975 ab und der Stammtorhüter Gerhard Heinze ging zum MSV Duisburg. Fortan waren Sie gesetzt. War der Abstieg für Ihre persönliche Karriere so etwas wie das Startsignal?
Trainer Albert Sing fand Gerhard Heinze zu klein gewachsen. Er schickte ihn zwar nicht in die Wüste, aber nach Meiderich zum MSV und ließ den langen Lulatsch René Deck verpflichten. Da Sing aber nach dem Abstieg geschasst wurde, hatte der René, ein super Typ, mit dem ich mich prächtig verstand, keinen Fürsprecher mehr. So konnte ich mich durchsetzen.
Wären auch Sie gegangen, wenn Sie nicht die Nummer 1 in der 2. Bundesliga geworden wären und ein entsprechendes Angebot vorgelegen hätte?
Trotz meiner Verbundenheit zum VfB hätte ich dann an meine Karriere denken und wechseln müssen.
Der VfB stieg nach zwei Jahren wieder in die Bundesliga auf und entwickelte sich auf Anhieb zu einem Spitzenclub in der Bundesliga. Wie schaffte es die Mannschaft sich so konstant über Jahre hinweg in der Spitzengruppe festzubeißen?
Wir lebten von der mannschaftlichen Geschlossenheit und der kontinuierlichen Entwicklung der großen Talente. Da viele Mitspieler aus dem Ländle, also Baden-Württemberg, kamen ergab sich eine sehr starke Identifikation mit dem Verein. Wo findet man heute noch Typen wie Karlheinz Förster oder Karl Allgöwer?
Nachdem man in Stuttgart 32 Jahre ohne Meistertitel war, wurden Sie 1984 Deutscher Meister. Erzählen Sie uns doch bitte von den Feierlichkeiten und wie es sich anfühlte, nach einer so langen Zeit seinem Verein den Titel zu schenken.
Grandios war der Autokorso mit den Daimler-Cabrios zum Rathaus. Dieser gemeinsame Jubel mit den Fans ging unter die Haut! Letztes Jahr traf ich bei einem meiner Botschafter-Auftritte einen Mann, der mir erzählte, er sei als 10-Jähriger am Straßenrand gestanden und ich hätte das Auto anhalten lassen und ihm einen Aufkleber „VfB – Deutscher Meister 1984“ gegeben, der heute noch an seinem Bett hängt. Tolle Erinnerungen!
Welcher Mannschaftskamerad hat die Erfolge am ausgiebigsten gefeiert?
Es gab, soweit ich mich erinnere, keine „Feierbiester“. Ob der eine oder andere privat mal eine Sause gemacht hat, kann ich nicht sagen. Wir standen noch nicht so unter Beobachtung wie heute mit den modernen Medien – und Handykameras. Promi-Friseure wurden auch noch nicht eingeflogen.
Im darauffolgenden Jahr geriet man sogar in Abstiegsnöte und beendete die Saison auf einem enttäuschenden 10. Platz, obwohl mit Jürgen Klinsmann ein Neuzugang an Bord war, der die Mannschaft offensiv deutlich verstärkte. Was war der Grund für den Absturz?
Es ist nicht selten im Fußball, dass nach einem Triumph der Siegeswille nachlässt. Zudem wachsen die Egoismen. In Summe kann dies zu einem Absturz führen. Das würde ich im Nachhinein so sehen.
Im Meisterjahr machten Sie Ihr einziges Länderspiel. Wären nicht noch mehr Spiele in der Nationalmannschaft möglich gewesen?
Im Nachhinein glaube ich, dass ich in der Öffentlichkeit zu wenig Gier nach der Nationalmannschaft ausgestrahlt habe. Auch gegenüber den Medien. Rückblickend frage ich mich, ob ich innerlich nicht bereit war, die Last der Nation auf den Schultern zu tragen. Vielleicht war mir der VfB genug.
Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Karriere alles richtig gemacht haben oder gab es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Alles macht man nie richtig. Ich war etwas zu genügsam in meinen Ansprüchen. Meine ruhige Art stand mir manchmal im Weg, mich in der Öffentlichkeit offensiver zu artikulieren. Rein sportlich gesehen, hätte unser Torwarttraining intensiver sein müssen. Das hätte ich einfordern müssen. Aber damals gab es noch keinen Trainerstab mit einem Dutzend Fachleuten.
Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen?
Zwei waren herausragend. Jürgen Sundermann und Helmut Benthaus passten exakt zu dem Niveau der jeweiligen Mannschaft. Sundermann motivierte die jungen Spieler und setzte auf Disziplin und Begeisterung. Er war ein Meister der Motivation und Begeisterung, der später leider unter seinen Möglichkeiten blieb. Meistertrainer Benthaus war ein analytischer Trainer, der seine Spieler auch in der Öffentlichkeit vor Kritik schützte. Charakterlich und fußballtaktisch herausragend. Sein Nachfolger Otto Baric dagegen kritisierte die Spieler ständig, um von eigenen Fehlern abzulenken.
Gab es Mitspieler, die Sie beeindruckt haben?
Viele. Die kann ich hier nicht alle aufzählen. Die Förster-Brüder, Karl Allgöwer, Hermann Ohlicher, Asgeir Sigurvinsson – das waren besondere Typen.
Stehen Sie noch mit ehemaligen Mannschaftskameraden in Kontakt oder haben sich gar Freundschaften entwickelt, die sie heute noch pflegen?
Man trifft sich bei den Heimspielen. Allerdings nur vereinzelt.
Was glauben Sie, warum so viele ehemalige Spieler im Anschluss an ihre Karriere Probleme mit ihren Finanzen und dem Leben ohne den Fußball bekommen haben? Ihr damaliger Mannschaftskamerad Walter Kelsch wurde kürzlich sogar zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sein soll.
Zu unserer Zeit konnte man nicht davon ausgehen, dass das Geld ewig reicht. Manche unterschätzen einfach das Leben danach und finden manchmal nicht den richtigen Anschluss-Job. Wer heute zehn Jahre hochklassig spielt, sollte eigentlich durchkommen. Deren Wochensalär entspricht oft dem, was wir im Jahr verdienten. Ich bin aber nicht neidisch. Es ist eben eine andere Zeit und der Fußball hat sich kommerziell entwickelt. Wir hatten damals in der Bundesliga bei belanglosen Spielen 20.000 Zuschauer. Heute kommen zum VfB in der 2. Liga 50.000. Das mit Walter Kelsch ist tragisch und war unvorstellbar für mich. Ich kann und möchte das jedoch nicht bewerten aus der Ferne.
Ich würde Ihnen gerne einige Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen:
- Ottmar Hitzfeld
Toller Kerl. Supertorjäger, trotz Hüftproblemen. Auch als Trainer grandios.
- Jürgen Klinsmann
Übertrug den Eigensinn, den ein Top-Stürmer, der er war, braucht, leider auf das gesamte Leben.
- Guido Buchwald
Fußballer durch und durch.
- Jupp Derwall
Ein guter Trainer, der den Spielern jedoch zu viele Freiheiten gewährte.