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Interview mit Peter Ehmke

"Stan Libuda schlief auf einer Parkbank"

Peter Ehmke spielte in der Bundesliga für Schalke, den 1. FC Köln und Bayer Uerdingen. Er hat uns erzählt, wie Overath ihn im Training absichtlich verletzt hatte, wie Franz Beckenbauer ihm auf dem Platz das Du angeboten hatte und davon, als er Horst Hrubesch zum einzigen Mal weinen sah. Mit 27 Jahren beendete Ehmke seine Karriere, um die Firma seiner Tante zu übernehmen.

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von Mario Gailing


Peter Ehmke, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen, was du im Anschluss an deine Karriere gemacht hast und heute machst?
Eigentlich bin ich Rentner. Allerdings bin ich noch in der Sicherheitsfirma angestellt, die ich meinen Söhnen übergeben habe. Nach meiner Karriere habe ich diese Firma mit 28 Jahren von meiner Tante übernommen.


Gehst du in deiner Freizeit noch ins Stadion?
Nein, überhaupt nicht mehr. Seit ganz vielen Jahren schon nicht mehr. Obwohl das Schalker Stadion direkt um die Ecke ist.


Kommen wir zu deiner Karriere. Der FC Schalke holte dich 1972 mit 19 Jahren aus der eigenen Jugend zu den Profis. Kannst du dich noch an dein erstes Profigehalt erinnern?
Ich habe mit 1800,- DM damals mehr verdient als mein Papa.


Hast du alles auf die Karte Profifußball gesetzt oder gab es einen Plan B in Form einer beruflichen Ausbildung?
Ich habe eine Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht. Meine Eltern hatten dazu eine ganz klare Meinung. Wir kamen aus einfachen und bodenständigen Verhältnissen und da haben meine Eltern schon auf solche Dinge geachtet. Wir waren eine klassische Bergbaufamilie. Da wurden schon früh wichtige Werte vermittelt, die ich später im Fußball häufig vermisst habe. Vor allem während meiner Zeit beim 1. FC Köln.


Wie fühlte es sich für dich an, plötzlich mit Mannschaftskameraden wie Nigbur, Fichtel, Rüssmann oder den Kremers-Zwillingen in einer Kabine zu sitzen, bzw. auf dem Platz zu stehen?
Das war schon erhaben. Da hat man natürlich erstmal aufgeschaut zu solchen Spielern, vor allen Dingen, weil ich auch schon als Jugendspieler auf Schalke war.


Wie wurdest du von den gestandenen alten Hasen als Jungspund aufgenommen?
Die Alten waren sehr introvertiert und haben die jungen Spieler kaum wahrgenommen. Da wurde man im Training regelmäßig weggehauen, vor allem, wenn man auf der gleichen Position wie der ein oder andere Etablierte gespielt hat. Das hat sich etwas geändert, als ich gegen die Bayern per Flugkopfball den 1:1-Endstand erzielt habe. In diesem Spiel bin ich Franz Beckenbauer aus Versehen auf den Fuß getreten. Als ich mich bei „Herrn“ Beckenbauer entschuldigt habe, meinte er nur: „Das macht nichts, Junge. Und nenne mich Franz.“


In deiner ersten Saison hast du schnell zum Stammpersonal gehört. In einem deiner ersten Spiele hast du vier Tore im Liga-Pokal erzielt. Dein persönlicher Aufstieg verlief rasant. Wer hat dich geerdet und darauf geachtet, dass dir der schnelle Erfolg nicht zu Kopf steigt? 
Ich dachte, ich wäre ein Superstar. Mein Vater, der immer an meiner Seite war, hat mich aber bei solchen Anflügen direkt geerdet. Irgendwann kam auch bei mir eine Phase, dass ich Probleme hatte, mit dem Leistungsdruck umzugehen. Der Schalker Publikumsliebling Stan Libuda wurde, genau wie viele andere Schalke-Spieler, wegen des Bundesliga-Skandals gesperrt und wechselte zu Racing Straßburg. Als die Sperre aufgehoben wurde, kam er zurück zu Schalke. Er hatte noch Luft für höchstens 20 Minuten und offensichtlich ein Alkoholproblem. Sobald meine Leistung nicht gut war, rief das ganze Stadion Libuda´s Namen. Das war schon belastend für mich und meine Leistung.


Obwohl du in deinen ersten beiden Jahren als Profi auf Schalke hohe Einsatzzeiten hattest und sogar im Europapokal eingesetzt wurdest, bist du 1974 zum 1. FC Köln gewechselt. Dort kamst du nicht so gut zurecht. Würdest du den Wechsel heute als Fehler bezeichnen?
Es war der größte Fehler meines Lebens. Ich hatte damals schon beim 1. FC Kaiserslautern unterschrieben, aber Kölns Manager Karl-Heinz Thielen überredete meinen Vater damals, dass ich zum FC wechsele. Mein Vater war auch dafür, da Köln wesentlich näher an meiner Heimat ist. Es war eine grauenhafte Zeit. In Köln kam man mit Werten, die ich von meiner Familie mitbekommen habe, nicht weit. Ich verletzte mich auch noch schwer. Meine Karriere stand mit Anfang 20 schon auf dem Spiel.


In Köln stand damals ein ganz junger Harald „Toni“ Schumacher im Tor. Konnte man da schon erahnen, welch ein großer Torwart er werden würde?
Der Beste, den ich je erlebt habe, war Norbert Nigbur - und Toni war ganz nah dran. Er war extrem fleißig und ehrgeizig. Da war schon absehbar, welchen Weg er gehen wird.


Schumacher machte charakterlich auf Außenstehende einen eher schwierigen Eindruck. Wie hast du ihn kennengelernt?
Er war der klassische Einzelgänger und wollte mit niemandem etwas zu tun haben. Er hat nur auf sich und seine persönliche Zukunft geschaut.


Mit Heinz Flohe, Wolfgang Overath und Hannes Löhr standen mehrere Häuptlinge im Kader. Wie hast du den Mannschaftsgeist zu deiner Zeit in Köln erlebt? 
Es gab keinen Mannschaftsgeist. Es lief alles über eine klare Hierarchie. Vor meinem ersten Training in Köln stellten wir uns auf dem Platz in einen Kreis und Trainer Cajkovski machte eine Ansprache. Plötzlich rief mein Mitspieler Heinz Simmet, dass ich gesagt hätte, der Trainer sei ein Arschloch. Ich fiel aus allen Wolken und wusste überhaupt nicht, was gerade passiert. Der Trainer fiel darauf rein und ich hatte zwei Wochen Einzeltraining. Oder eine andere Situation - Overath hat mir mit voller Absicht im Training ein Loch ins Knie getreten. Der Göttliche, wie wir ihn nannten, war unantastbar. Man durfte ihn im Training nicht angreifen. Wenn er den Ball hatte, konnte er quasi von Tor zu Tor laufen, weil sich niemand wagte, ihm den Ball abzunehmen.


Unter Trainer Cajkovski hast du beim FC nur viermal in der Startelf gestanden, sowie in wenigen Spielen im DFB-Pokal und Europapokal auf dem Platz. Wann hast du für dich entschieden schon nach einer Saison zu wechseln?
Das war kurz nach einer schweren Verletzung zum Jahresende. Ich trainierte nur noch im Kraftraum. Der Arzt diagnostizierte einen Bandscheibenvorfall. Der Verein wollte dann noch ein bisschen Geld mit mir verdienen.


Du bist ins belgische Mechelen „geflüchtet“. Wie schwer ist dir der Abschied aus der Bundesliga und den gut besuchten Stadien gefallen?
Sportlich war der Fußball in Belgien total uninteressant. Der Hass zwischen den Flamen und Wallonen innerhalb des Landes war riesig. Und Deutsche hat man bespuckt, so groß war die Abneigung. Aber es gab richtig viel Geld. Ich bekam einen Koffer voller Scheine und fuhr damit in einen Wald, wo ich das Geld einfach in die Luft warf. Das war verrückt.


Nach zwei Jahren in Belgien hast du dich dem ambitionierten Zweitligisten Rot-Weiß Essen angeschlossen, für den Spieler wie Horst Hrubesch und der junge Frank Mill spielten. Du warst Leistungsträger und hast es in die Aufstiegsrelegation zur Bundesliga geschafft, wo ihr knapp an Nürnberg gescheitert seid. Welche Erinnerungen hast du an diese beiden Relegationsspiele?
Das war das Spektakulärste, was ich je erlebt habe. Wir hatten eine tolle Kameradschaft. Der Zusammenhalt war riesig und die Jungs waren auch alle schwer in Ordnung. Ich hatte in Essen eine Wahnsinnszeit. Mein Sohn zeigte mir letztens diese Relegationsspiele bei YouTube. Das hat mich immer noch bewegt nach all der Zeit. Uns verabschiedeten 34000 Menschen mit Standing Ovations, obwohl wir den Aufstieg nicht geschafft hatten, aber alles rausgehauen haben und knapp scheiterten. Das war das Schönste, was man als Spieler, trotz einer Niederlage, erleben kann. Horst Hrubesch hat beim Stand von 2:2 kurz vor Schluss einen Elfmeter verschossen, der für das Entscheidungsspiel gereicht hätte. Es war sein letztes Spiel für Essen. Da habe ich ihn das einzige Mal weinen sehen.


Auch in der folgenden Saison hast du eine sehr konstante Runde gespielt, woraufhin dich Bundesliga-Aufsteiger Bayer Uerdingen verpflichtete. Dort warst du ebenfalls Stammspieler. Nach zwei Jahren stieg Uerdingen wieder ab und du hast mit nur 27 Jahren deine Profikarriere beendet. Gab es keine Angebote oder wollte der Körper nicht mehr?
Ich war körperlich in einem guten Zustand, aber ich hatte die Möglichkeit der Firmenübernahme meiner Tante. Somit war meine berufliche Zukunft geklärt und gesichert. Das war mir wichtig. Es war ja auch nicht so, dass man früher als Fußballer automatisch so viel Geld verdienen konnte, dass man ausgesorgt hatte. Ich habe ehemalige Mitspieler erlebt, denen es wirklich schlecht ging in ihrem Leben nach dem Fußball. Stan Libuda schlief auf einer Parkbank, weil er nichts mehr hatte. Eine Toto Lotto-Stelle, wie sie viele ehemalige Spieler übernahmen, war auch nicht mein Ziel. Ich hatte sogar noch ein Angebot von Hannover 96 vorliegen. Einen Fünfjahresvertrag boten die mir an, aber ich habe abgelehnt.


Wo hat es dir unabhängig vom sportlichen Erfolg am besten gefallen?
Das war eindeutig als Profi bei Rot-Weiß Essen. Die Jugendzeit auf Schalke war auch toll. Da sind wir nie Runden gelaufen, sondern haben ausschließlich mit dem Ball trainiert. Mein Jugendtrainer war die Schalke-Legende Berni Klodt aus der Schalker Meistermannschaft.


Gibt es Spiele oder Szenen, die dir immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Auf jeden Fall das 1:1 gegen Bayern. Erwin Kremers flankt und ich mache per Flugkopfball den Ausgleich. Sepp Maier war chancenlos. Ich glaube, ich bin einmal um das ganze Stadion gerannt. Ich erinnere mich auch gerne an das 2:2 gegen Nürnberg, als ich ebenfalls zum 1:1-Ausgleich traf. Die Europapokalspiele mit Schalke gegen Cork Hibernians oder Sparta Prag bleiben natürlich ebenso in Erinnerung. Gegen beide Mannschaften habe ich auch getroffen.


In welchen Bundesliga-Stadien hast du am liebsten gespielt und gab es Stadien, die du nicht mochtest?
Im Olympiastadion in München ging mir richtig der Stift. Überragend. Genauso wie das Olympiastadion in Berlin. Im Parkstadion auf Schalke hingegen spielte ich nicht mehr so gerne, weil es einfach nichts war im Vergleich zur alten Glückauf-Kampfbahn.


Welcher deiner Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen? 
Keine Frage, das war Diethelm Ferner bei RW Essen. Ivica Horvat auf Schalke war mein Mentor und ein guter Kerl, aber sein Training ging schon in Richtung Körperverletzung. Damit wärst du heute keine Woche mehr bei einem Verein. Aber früher waren diese Methoden scheinbar normal. Huckepack die Treppen hoch rennen, durch herunterhängende Pflastersteine fintieren – alles ganz normal. Und häufig sehr schmerzhaft.


Stehst du noch mit ehemaligen Mannschaftskameraden in Kontakt oder haben sich gar Freundschaften entwickelt, die du heute noch pflegst?
Fast gar nicht. Mein einziger Freund aus dieser Zeit ist mein ehemaliger Kölner Mannschaftskamerad Winfried Berkemeier. Ihn schätze ich sehr. Er lebt schon lange in der Schweiz, aber wir sind füreinander da, wenn es notwendig ist.


Zum Abschluss würde ich dir gerne einige Namen ehemaliger Weggefährten nennen und dich darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen:
Norbert Nigbur: Hatte die allergrößte Trainingsintensität, die ich je im Fußball gesehen habe.


Klaus Fichtel: Ein ganz seriöser und feiner Mensch. Extrem ruhig, aber menschlich überragend. Sehr hilfsbereit, aber man muss die Hilfe verlangen.


Klaus Fischer: Wahnsinnig netter Kerl, mit dem ich noch gelegentlich Golf spiele.

Wolfgang Overath: Zu ihm möchte ich nichts sagen. Es hat keinen Wert über diesen Menschen zu sprechen.


Friedhelm Funkel: Als Spieler ein unglaubliches Schlitzohr. Er stand immer richtig. Ganz cleverer Fußballer. Menschlich leider eher „anders“.

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