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Interview mit Herbert Heidenreich

"Wer Uli Hoeneß einmal als Freund hat, hat ihn für immer."

Herbert Heidenreich wurde 1977 Deutscher Meister mit Borussia Mönchengladbach. Den Großteil seiner Karriere verbrachte er aber beim 1. FC Nürnberg. Warum er und Berti Vogts niemals Freunde geworden sind und wie die FCK-Fans den Mannschaftsbus auf dem Weg ins Stadion mit Fahnenstangen attackierten, hat er uns unter anderem erzählt.

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von Mario Gailing


Herbert Heidenreich, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere machten und heute beruflich machen?
Nach dem Fußball konnte ich durch einen Freund in das Versicherungsgeschäft einsteigen. Seit 1989 bin ich selbstständig mit einer Generalagentur. Anfangs war es eine Colonia-Agentur, inzwischen nennt sich die Versicherung AXA.


Gehen Sie in Ihrer Freizeit noch ins Stadion?
Ich war immer nah dran am 1. FC Nürnberg und ein Freund hatte VIP-Karten. Von daher bin ich schon regelmäßig im Stadion und habe fast alle Heimspiele vom Club gesehen. Ich habe dort auch noch lange in der Traditionsmannschaft gespielt.


Kommen wir zu Ihrer Karriere. 1974 debütierten Sie mit 19 Jahren in der 2. Bundesliga. Wissen Sie noch wieviel Sie damals als Jungprofi bei der SpVgg Bayreuth verdient haben?
Ja, das waren 250,00 DM brutto. Wir hatten viermal die Woche Training und fast alle sind noch einem richtigen Beruf nachgegangen. Freitags ging es dann immer ins Trainingslager vor den Spielen.


Machten Sie eine Ausbildung oder haben Sie alles auf die Karte Profifußballer gesetzt?
Ich habe eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten gemacht, den Beruf aber nie ausgeübt. Meine Mutter hätte es nie erlaubt, dass ich mich nur auf den Fußball konzentriere. Für mich war aber auch klar, dass ich nebenher noch etwas Anderes mache. Bei der Bundeswehr war ich auch.


In Ihrer zweiten Saison zeigten Sie sich sehr treffsicher, woraufhin Borussia Mönchengladbach Sie verpflichtete. Wer hat sich damals um Sie bemüht und wie liefen die Verhandlungen ab?
Ich hatte sieben Angebote aus der Bundesliga. In einem Freundschaftsspiel gegen Borussia Mönchengladbach auf schneebedecktem Rasen, konnte ich auf mich aufmerksam machen. Berti Vogts habe ich schwindelig gespielt und Trainer Udo Lattek wollte mich nach diesem Spiel unbedingt. Der damalige Manager der Borussia, Helmut Grashoff, lud mich dann ein, einen 3-Jahresvertrag zu unterschreiben. Mit dem Flugzeug ging es nach Düsseldorf, um den Vertrag zu unterzeichnen. Da saß ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Flugzeug.


Sie waren schon in Ihrer ersten Saison fester Bestandteil der Fohlenelf und am Ende stand die deutsche Meisterschaft. Warum hat Udo Lattek Sie am letzten und entscheidenden Spieltag bei den Bayern nicht aufgestellt?
Das war bitter. Wir spielten bei den Bayern 2:2, was letztendlich zum Gewinn der Meisterschaft reichte. Jupp Heynckes war vorher verletzt und meldete sich zum Saisonfinale fit. Wir spielten die gleiche Position und der Trainer hat sich für Heynckes entschieden.


Eine Woche später fehlten Sie auch beim Endspiel im Europapokal der Landesmeister gegen den FC Liverpool. Wie geht man als junger Spieler mit so einer Enttäuschung um, wenn man bei diesen großen Spielen nicht dabei ist?
Das war natürlich sehr schwierig für mich. Im Halbfinale gegen Kiew habe ich super gespielt, eines der besten Spiele meiner Karriere gemacht. Und dann kommen diese großen Spiele und ich war nicht dabei. Sehr enttäuschend. Heynckes war zwar nicht hundertprozentig fit, wollte sich diese Spiele aber nicht entgehen lassen, was ich auch verstehen konnte. In dem brutalen Geschäft kommt man nur durch, wenn man mit Rückschlägen gut umgehen kann. Aber es hat mir schon gestunken.


Im Europapokal-Achtelfinale spielten Sie vor über 70.000 im legendären Turiner Stadio Comunale. Erzählen Sie uns doch bitte von diesem Erlebnis.
Für mich war das alles eine ganz neue Welt. Aus Bayreuth kommend in solchen Stadien aufzulaufen war schon toll. Ich kann mich noch sehr gut an dieses Spiel erinnern. Wir haben uns in Südamerika vorbereitet. Vor dem Spiel warnte mich Udo Lattek vor dem sehr brutalen Innenverteidiger der Turiner. Er sagte mir, dass sie den Kerl in Italien „Mörder“ nennen. Nach wenigen gespielten Minuten fehlte mir schon ein Zahn. Spätestens da wusste ich, dass der Udo weiß von was er spricht. Solche Erlebnisse vergisst man nicht.


Im Halbfinale besiegten Sie vor ebenso großer Kulisse das Starensemble von Dynamo Kiew mit dem Weltstar Oleg Blochin 2:0. Scheinbar auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere angekommen, spielten Sie kurz darauf keine Rolle mehr bei Udo Lattek. Woran lag das Ihrer Meinung nach? 
Die Konkurrenz in der Offensive war brutal. Da waren Leute wie Heynckes und Simonsen. Oder auch Kalle Del´Haye und Ewald Lienen.


Sie flüchteten zu TeBe Berlin, wo Sie kaum noch vor mehr als 3000 Zuschauern spielten. Wie schwer fiel Ihnen der Wechsel von der großen Borussia in die 2. Bundesliga?
Mir ging es nur darum zu spielen. TeBe hatte Ambitionen und aufgerüstet, um in die Bundesliga aufzusteigen. Ich erinnere mich an ein Spiel im November vor etwa 800 Leuten im Olympiastadion. Das ist natürlich nicht ganz einfach, aber ich blieb immer positiv und habe versucht das Beste daraus zu machen. Ich war damals nur von Gladbach ausgeliehen und wusste, dass ich nach der Leihe wieder zurück oder woanders hin wechseln kann.


Nach guten Leistungen in Berlin holte Sie Ihr Jugendverein 1. FC Nürnberg zurück und Sie spielten wieder Bundesliga. In Nürnberg beendeten Sie auch sechs Jahre später Ihre Bundesliga-Karriere. Wo gefiel es Ihnen rückblickend am besten?
Sportlich steht natürlich die Zeit in Gladbach ganz oben. Wir waren eine Top-Mannschaft und mit Rainer Bonhof hatte ich einen engen Freund. Die Zeit in Berlin möchte ich etwas ausklammern, da man diese Station nicht mit Gladbach oder Nürnberg vergleichen kann. In Nürnberg hatte ich meine Familie in der Nähe und als waschechter Franke eine tolle Zeit, in der ich viel erlebt habe. Und wie das beim Club so ist, gab es viele Auf und Ab´s. Aufgestiegen, abgestiegen, da war alles dabei.


Sie verließen Nürnberg mit 29 Jahren als Stammspieler und gingen zurück nach Bayreuth, wo Sie Ihre Karriere im gehobenen Amateurbereich ausklingen ließen. Warum haben Sie im besten Fußballer-Alter die große Bundesliga-Bühne so früh verlassen?
29 war wirklich viel zu jung, aber rückblickend sind wir mit Nürnberg sang- und klanglos abgestiegen und gute Angebote waren nicht vorhanden. Ich hätte nach Österreich, Frankreich oder in die Schweiz wechseln können, aber das wollte ich nicht. Deshalb bin ich zurück zu Bayreuth, wo ich als Kapitän den Aufstieg in die zweite Liga feiern konnte. Danach gab es dann ein bisschen Theater und ich habe meine Konsequenzen gezogen und aufgehört.


Mit Nürnberg spielten Sie ein Jahr in der 2. Bundesliga und fünf Jahre Bundesliga. Höhepunkt war das DFB-Pokalfinale 1982 gegen Bayern München. Nach einer 2:0-Halbzeitführung ging das Spiel noch verloren. Wie ging die Mannschaft mit der Enttäuschung um, wo man doch so nah am Sieg war?
Oh ja, da hat Reinhold Hintermeier mit einem Traumtor das 1:0 erzielt und kurz darauf stand es 2:0 durch Werner Dreßel. Wir sagten uns in der Halbzeit, dass wir das Ergebnis so lange wie möglich halten müssen, weil wir vermeiden wollten, dass die Maschinerie um Breitner, Rummenigge und Hoeneß zum Laufen kommt. Das hat aber leider nicht ganz funktioniert. Bayern verkürzte durch Rummenigge schon kurz nach der Pause. Danach hatte ich noch einen Pfostenschuss, der das 3:1 gewesen wäre. Dann fiel das 2:2 und wir hatten nichts mehr entgegenzusetzen. Kraus hat kurz nach dem Ausgleich einen Elfmeter herausgeholt, der unberechtigt war. Die Maschine der Bayern lief und wir wussten, dass es vorbei war. Da war eine unheimliche Dynamik im Bayernspiel. Ein Knackpunkt war auch, dass Alois Reinhardt nach einem Zusammenprall mit Dieter Hoeneß nicht mehr so in die Zweikämpfe ging. Hoeneß, der mit einem blutigen Turban weiterspielte, machte weiter, als wäre nichts gewesen und hat sogar noch das Tor von Rummenigge vorbereitet und kurz vor Schluss das 4:2 selbst geköpft.


Gibt es weitere Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Wir spielten mit Nürnberg beim hohen Favoriten VfB Stuttgart. In der Halbzeit hat uns unser Trainer Rudolf Kröner beim 0:0-Pausenstand überschwänglich gelobt. Das Spiel endete 7:0 für den VfB. Oder ein anderes Spiel gegen den VfB einige Jahre vorher. Es war bitterkalt. Damals waren Strumpfhosen und Handschuhe zwar erlaubt, aber unser Trainer Gebhardt hat uns nach dem Aufwärmen gesagt, dass niemand seiner Mannschaft so auf den Platz geht. Wir zogen die langen Sachen aus und froren schon beim Einlaufen neben warm eingekleideten Stuttgartern, die Meisterschaftsfavorit waren. Wir zitterten wie Espenlaub. Am Ende gewannen wir 1:0, weil wir rannten wie verrückt, damit uns warm wurde.


In welchen Bundesliga-Stadien haben Sie am liebsten gespielt und gab es Stadien, die Sie nicht mochten?
Am liebsten habe ich auf dem Betzenberg gespielt. Da schlugen uns die FCK-Fans mit Fahnenstangen und Schirmen gegen die Busscheiben bei der Fahrt hinauf zum Stadion. Das war ein komisches Gefühl. Dortmund war auch klasse. Und das Hamburger Volksparkstadion mochte ich auch. Da beneide ich die Jungs von heute, die in all diesen tollen Fußballstadien mit dieser Atmosphäre spielen dürfen. Man sitzt oder steht ja heute fast auf dem Platz. Das ist toll und macht den Fußball doch aus. Plätze mit einer Aschenbahn habe ich dagegen überhaupt nicht gemocht. Da kam einfach keine Stimmung auf.


Welcher Ihrer Trainer hat am meisten Eindruck hinterlassen? 
Ohne lange zu überlegen war das Udo Lattek. Er war menschlich und in seiner ganzen Art toll. Mit so vielen herausragenden Fußballern musst du es so händeln können, dass die Mannschaft sich für den Trainer ihren Arsch aufreißt. Er hat alle Stars zusammenbringen können. Er konnte das einfach. Gladbach war damals mit Liverpool, vielleicht noch Bayern, das Beste was es in Europa gab. Lattek machte immer eine echte Mannschaft aus vielen super Spielern. Er hat mich mal in der Kabine rasiert, als ich gegen Schalke extrem schlecht gespielt habe. Da habe ich 15 Minuten benötigt, um mich wieder zu sammeln. Am folgenden Mittwoch war das Halbfinale im Europapokal gegen Kiew und ich bin davon ausgegangen, dass ich nicht dabei bin. Beim Mannschaftsspaziergang vorm Spiel hat er mich dann zu sich gerufen und mir gesagt, wie wichtig ich für die Mannschaft bin und dass ich spiele. Er hat mich in den Arm genommen und wieder aufgebaut. So war Udo Lattek. Aber auch Gebhardt hat mich beeindruckt. In Franken ist er eine Legende. Harte Schale, weicher Kern. Udo Klug und Horst Heese waren auch gut.


Gab es Spieler, die Sie beeindruckt haben? 
Da hatte ich viele in Gladbach. Allan Simonsen war der Beste. Wahnsinn, was der drauf hatte. Aber auch Wolfgang Kleff, Uli Stielike, Jupp Heynckes oder Rainer Bonhof waren super, um nur einige zu nennen. Das waren Spieler, bei denen ich anfangs meinen Mund nicht mehr zu machen konnte, wenn ich sie sah. Wir hatten so viele Nationalspieler. Eine geile Truppe.


Stehen Sie noch mit ehemaligen Mannschaftskameraden in Kontakt oder haben sich gar Freundschaften entwickelt, die sie heute noch pflegen?
Nein, kaum noch. Nur in der ersten Zeit stand man noch etwas in Kontakt. In Nürnberg habe ich noch ein paar Verbindungen, aber mein einziger, ganz enger Freund aus dieser Zeit ist nur noch Peter Stocker. Mit Uli Hoeneß habe ich hin und wieder Kontakt, aber echte Freundschaften sind im Profifußball eher selten, heute wahrscheinlich noch seltener als damals.


Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Karriere alles richtig gemacht haben oder gab es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Ich würde es genauso wieder machen. So wie es lief, war es gut. Und was ich erreicht habe, war richtig gut, da ich mich immer als durchschnittlichen Bundesligaspieler gesehen habe. Da war ich immer geerdet. Im Anschluss an meine Karriere hatte ich die Möglichkeit, über meinen Namen und viele Kontakte, in den neuen Beruf zu kommen. Es hat sich also alles gut entwickelt.


Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne einige Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas zu ihnen zu sagen:
Jupp Heynckes: Überragender Fußballer und ein toller Mensch. Ein absolutes Vorbild für mich, obwohl wir auf unserer Position Konkurrenten waren.


Rainer Bonhof: Ein ganz spezieller Freund für mich. Er hat mich sehr unterstützt, als ich als kleiner Junge vom Land zur Borussia gekommen bin. Hat sich immer um mich gekümmert. Ein toller Fußballer und feiner Mensch.


Berti Vogts: Der Terrier und ich konnten überhaupt nicht miteinander. Er war sehr introvertiert und distanziert gegenüber jungen Spielern. Ich habe Sachen mit ihm erlebt, über die ich im Nachhinein nicht mehr sprechen möchte. Das hat einfach nicht gepasst. Wie Feuer und Wasser. Freunde wären wir nie geworden.


Uli Hoeneß: Ihn kann man als Mensch nicht hoch genug loben, auch wenn er den ein oder anderen Fehltritt gemacht hat. Wir treffen uns gelegentlich. Wer Uli Hoeneß einmal als Freund hat, hat ihn für immer. Wenn jemand Hilfe benötigt, ist er an erster Stelle. Dann ist er da. Er ist in allen Lebenslagen ein echter Freund.


Manni Burgsmüller: Ein Schlitzohr und Riesenkicker. Wenn du mit Abramczik und Burgsmüller zusammenwarst, war das Leben bunt und schön. Manni trug Fußballschuhe, die hätten andere in der Disco getragen. Er war immer lustig, aber auch ein Chaot. Es war sehr angenehm mit diesem verrückten Hund Zeit zu verbringen.


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