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Interview mit Werner Vollack

"...und dann habe ich ihm richtig eine mit der Faust gezimmert!"

Werner Vollack stand unter anderem für Bayer Uerdingen und den FC Schalke zwischen den Pfosten. Fast wäre er sogar bei der WM 1986 in Mexiko dabei gewesen. In Spanien haben sie ihn "Das Wunder" genannt. Und er stand im wohl größten Fußballspiel aller Zeiten auf dem Platz, als er im Europapokal eine unfassbare Aufholjagd mit Bayer Uerdingen schaffte.

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von Mario Gailing


Werner Vollack, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen, was du im Anschluss an deine Spielerkarriere gemacht hast und was du heute machst.
Nachdem ich meine Karriere in der Saison 1989/90 aufgrund einer Knieverletzung beenden musste, fehlte nach 17 Jahren als Profifußballer einfach erstmal was, weil das Ende sehr abrupt kam. Ich habe komplett neu angefangen und eine 3,5-jährige Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann begonnen, um mich danach in dieser Branche auch selbstständig zu machen. Ich habe später 10 Jahre lang ein schönes eigenes Reisebüro geführt, mit Angestellten und Auszubildenden. 2005 habe ich dann schweren Herzens das Büro aufgegeben. Es kam einiges zusammen. Ich habe mich nach 24 Jahren von meiner Frau getrennt, bekam ein künstliches Knie und auch das Internet spielte eine Rolle, dass es nicht mehr so gut lief. Ich hatte lange daran zu knabbern, weil mein ganzes Herzblut in diesem Büro steckte. Das Gehalt als Profifußballer war früher noch nicht so hoch, dass man ausgesorgt hatte. Das Haus ging an meine Ex-Frau und es blieb nicht mehr viel übrig. Zufällig kam ich dann an eine Stelle bei der Stadt, beim Sport und Bäderamt. Dort arbeitete ich bis 2020. Seitdem bin ich Rentner.

 

Du kamst 1974 als 18-Jähriger zu Bayer Uerdingen, wo du in den ersten Jahren nur geringe Einsatzzeiten hattest. Gab es einen Plan B in Form einer beruflichen Ausbildung?
Ich hatte in Duisburg eine Ausbildung begonnen, aber ich hatte großes Talent und spielte schon mit 17 in der höchsten Amateurliga für Eintracht Duisburg. Ich spielte eine überragende Saison und es gab Angebote. Gemeinsam mit Wolfgang Franke wechselte ich zu Bayer 05 Uerdingen, die damals in der zweiten Liga spielten. Obwohl mich mit dem MSV Duisburg, Fortuna Düsseldorf und Rot-Weiss Essen gleich drei Bundesligisten verpflichten wollten, hat mein Vater mir dazu geraten, nach Uerdingen zu gehen, da ich bei Bayer eine Ausbildung machen könnte, wenn es mit dem Fußball nicht funktioniert. Ich bin damals an dem Uerdinger Denkmal im Tor, Manfred Kroke, nicht vorbeigekommen. Er war eine Koriphäe und ein ganz toller Kerl.

 

Nach zwei Jahren bist du zu Eintracht Trier in die zweite Liga gewechselt. Dort warst du über Jahre Stammtorhüter. Hast du dir in Uerdingen keine Hoffnungen mehr auf einen Stammplatz gemacht?
Ich war in Uerdingen bei Trainer Quinkert und wollte wissen, wie meine Chancen stehen. Er meinte, dass die Aussichten nicht besonders gut sind, solange Manfred Kroke noch spielt. Daraufhin bin ich zu Eintracht Trier gewechselt, die gerade aufgestiegen sind und deren Torhüter Charly Schröder sich schwer verletzt hatte. In Trier hatte ich eine tolle Zeit. Die Menschen und die Stadt sind wunderbar.

 

Warum hast du in der Rückrunde deiner letzten Saison bei Trier keine Rolle mehr gespielt?
Wir spielten zu Hause gegen den 1. FC Nürnberg. Das Spiel endete 1:1. Wir führten mit 1:0, als es Eckball für Nürnberg gab. Herbert Heidenreich vom Club stellte sich neben mich und rotzte mir aus unmittelbarer Nähe voll ins Gesicht. Ich war richtig sauer und habe ihm gesagt, dass ich ihn mir noch vorknüpfe. Mit dem Halbzeitpfiff gab es Elfmeter für Nürnberg und es stand 1:1. Als ich auf dem Weg in die Kabine war, fiel mir ein, dass ich mein zweites Paar Handschuhe im Tor vergessen hatte. Als ich umkehrte, um sie zu holen, stand Heidenreich vor mir und dann habe ich ihm richtig eine mit der Faust gezimmert. Es hat niemand gesehen. Als ich abends nach Hause kam, habe ich mir im ZDF die Zusammenfassung angesehen. Ich lag auf der Couch und sah plötzlich, dass die Kamera alles aufgezeichnet hatte. Der Trainer rief mich direkt an und sagte, dass er enttäuscht sei. Heidenreich hatte später vorm Sportgericht geleugnet, dass er mich angespuckt hatte und so war ich erst der zweite Spieler, der aufgrund von Fernsehaufnahmen gesperrt wurde. Für ganze drei Monate. Didi Roos, mein ehemaliger Trainer, war inzwischen Trainer bei den Stuttgarter Kickers und bot mir einen Vertrag an, den ich auch unterschrieben habe.

 

Über die Zwischenstation Stuttgarter Kickers, bei denen du auch Stammtorhüter warst, ging es zurück nach Uerdingen. Dort hast du in deiner ersten Saison den Bundesliga-Aufstieg als Nummer 1 gefeiert. Erzähl uns bitte von der Relegation gegen Schalke, in der ihr den Aufstieg perfekt gemacht habt.
Eigentlich sollte ich von den Kickers zum VfB Stuttgart wechseln, aber die Menschen in Stuttgart lagen mir nicht. Nachdem wir mit den Kickers 5:1 gegen Uerdingen gewonnen haben, kam Arno Eschler, der Uerdinger Präsident, noch auf dem Platz zu mir und wollte, dass ich zurück nach Uerdingen komme. Am nächsten Tag haben wir alles geklärt und ich habe unterschreiben. So viel zu meinem Wechsel. Die Relegation war dann natürlich klasse. Trainer Werner Biskup wurde in der Saison beurlaubt und Manager Tippenhauer übernahm. Wir boten an der Grotenburg Kampfbahn eine Galavorstellung mit der gesamten Mannschaft und besiegten Schalke 3:1. Im Rückspiel auf Schalke machte ich vor 70.000 Zuschauern eines meiner besten Spiele. Es war sehr heiß, die Atmosphäre überragend. Aus meiner Sicht war dieses Spiel mein Durchbruch. Wir spielten 1:1 und waren aufgestiegen. Niemals zuvor sah ich so viele Menschen weinen. Mir taten die Schalker Fans richtig leid, weil sie wirklich super Fans sind.
 
In Uerdingen hast du große Erfolge gefeiert. 1985 habt ihr mit einem 2:1 gegen Bayern den DFB-Pokal gewonnen. Hast du im Vorfeld an einen Erfolg gegen den übermächtigen FC Bayern München geglaubt?
Natürlich haben wir daran geglaubt, Bayern besiegen zu können. Sonst wären wir keine Fußballer. Uns war klar, dass wir krasser Außenseiter sind, aber wir glaubten, dass wir mit einem außerordentlich guten Spiel auch die Bayern packen können. Es war ein Highlight und wir haben am Ende auch hochverdient den Pokal gewonnen.

 

Durch den Pokalsieg wart ihr im folgenden Jahr im Europapokal der Pokalsieger am Start. Im Viertelfinale kam es zum „Wunder von der Grotenburg“ gegen Dynamo Dresden. Dieses Spiel wurde vom 11 Freunde-Magazin zum größten Spiel des Jahrhunderts gekürt. Welche Erinnerungen hast du an dieses Spiel, nachdem das Hinspiel 0:2 verloren wurde und Dresden dann in Uerdingen mit 7:3 aus dem Stadion geschossen wurde?
Nach wenigen Sekunden ging Dresden schon in Führung. Wolfgang Funkel, der an diesem Abend das größte Spiel seiner Karriere machte, glich aus, aber in der Halbzeit lagen wir schon 1:3 hinten und uns war allen klar, dass wir ausgeschieden waren. Die Auswärtstorregel machte ein Weiterkommen ja quasi unmöglich, weil wir in der zweiten Halbzeit fünf Tore schießen mussten, gegen eine Dresdner Mannschaft, die richtig gut spielte. Wir waren tot, toter als tot. Und dann ist folgendes passiert, nämlich gar nichts. Auch nicht, dass Trainer Kalli Feldkamp das Wort ergriffen hat, wie er es später in Interviews erzählte. Es war still in der Kabine. Als der Schiri zur zweiten Halbzeit pfiff, hat unser Kapitän Matthias Herget zu der Mannschaft gesprochen. Er sagte, dass das Spiel live im Fernsehen übertragen wird und wir uns jetzt nochmal alle reinhauen, auch wenn wir ausgeschieden sind, damit wir hier nicht vorgeführt werden. Und dann kam das, was passiert ist. Sechs Tore in den letzten 30 Minuten. Beim Stand von 6:3 hielt ich noch zwei Riesenchancen von Dresden. Das wäre das Aus für uns gewesen.

 

Im Halbfinale wartete Atlético Madrid auf euch. Die Spanier verzweifelten an deinen Reflexen und die spanische Presse feierte dich als „El Milagro“, was übersetzt „Das Wunder“, bedeutet. Wie groß war die Enttäuschung, dass der deutsche Teamchef Franz Beckenbauer diese Meinung nicht teilte und dich wenige Monate später nicht für die WM in Mexiko 1986 berücksichtigte?
Das lag nicht in meiner Macht. Es gab 1986 keinen besseren als mich in Deutschland, zusammen mit Toni Schumacher. Meine Leistungen waren konstant stark, besser ging es nicht. Ich war dann zwar auf Abruf, aber da ich für die Olympiamannschaft auflief war ich raus. Eike Immel fing mit Dortmund 70 Tore in dieser Saison und war als Ersatztorwart bei der WM dabei, obwohl er aufgrund der Abstiegsrelegation nicht mal direkt mit nach Mexiko reisen konnte. Es ging einfach nicht nach Leistung. Der BVB hatte eine bessere Lobby als Bayer Uerdingen beim DFB. Ich habe danach immer mit Toni Schumacher meine Scherze gemacht und gesagt, dass wir mit mir Weltmeister geworden wären, weil ich nicht so an den Bällen vorbeigegriffen hätte, wie Toni es leider im Endspiel gegen Argentinien getan hatte.

 

Hat dir der „Kaiser“ seine Entscheidung gegen dich erklärt?
Beckenbauer rief mich nur an, um mir mitzuteilen, dass sie sich für Immel entschieden haben. Franz war sehr souverän, hat mir das so gesagt, aber nicht erklärt.

 

In der genannten Saison wurdet ihr trotz der Doppelbelastung Dritter in der Bundesliga. Trotzdem spielten keine Topstars in Uerdingen. Was hat diese Uerdinger Mannschaft so erfolgreich sein lassen?
Wir hatten einfach eine richtig geile Truppe und haben uns super verstanden. Wir haben trainiert wie irre und sind immer marschiert. Da gab keiner auf. Trainer Timo Konietzka war einfach genial. Und als Kalli Feldkamp kam, hat er die Arbeit von Konietzka nahtlos fortgesetzt und dann kamen sogar noch größere Zeiten. Das Ganze hat ein überragender Kapitän Matthias Herget abgerundet. Er war genial und für mich der Größte nach Beckenbauer auf der Liberoposition, die er durch sein Spiel vor den Verteidigern schon sehr modern ausgeführt hat.

 

Im UEFA-Cup seid ihr auch erst im Achtelfinale am FC Barcelona gescheitert. Wart ihr ehrfürchtig gegen diese Stars wie Mark Hughes, Gary Lineker oder Zubizarreta oder war das Selbstvertrauen so ausgeprägt, dass du auch in Spielen gegen so große Gegner an den Erfolg geglaubt hast?
Wir hatten keine Angst und waren frech. Wir suchten immer unsere Chancen. Aber Barcelona war einfach in beiden Spielen klar besser, so realistisch waren wir schon. Allerdings haben wir uns gut gewehrt. Die Gegentore fielen auch erst in den Schlussphasen. Ein weiteres Highlight im europäischen Wettbewerb war aber das Spiel in Istanbul gegen Galatasaray. Was dort los war. Es war die Hölle, hat aber einen riesigen Spaß gemacht mit dieser Atmosphäre.

 

Du bist trotz Stammplatz in Uerdingen während der Saison 1987/88 zum späteren Bundesliga-Absteiger FC Homburg gewechselt. Warum hast du Uerdingen verlassen?
Ich habe mich mit meinen Trainern immer gut verstanden und war immer loyal, aber Horst Köppel war der mit Abstand schlechteste Trainer meiner Karriere. Er war unglaublich schwach, ein Duckmäuser. Alle Spieler waren außer Form und wir machten reihenweise schlechte Spiele. Bei den Bayern verloren wir mit 3:0 und ein Journalist fragte mich nach meiner Meinung. Ich sagte ihm nur, dass ich unsere Mannschaft nicht mehr erkenne. Ich habe uns allen die Schuld gegeben. Am nächsten Tag sagte Köppel vor versammelter Mannschaft, dass er sich nach dem Training mit mir in seinem Büro unter vier Augen unterhalten möchte. Als ich später hingegangen bin, saßen er, der Co-Trainer und der Manager in seinem Büro. Ich sagte Köppel, dass ich sie beim Karten spielen nicht stören will und bin gegangen, weil es kein Vieraugengespräch geworden wäre. Dann ist es eskaliert. Köppel sagte, dass ihn Beckenbauer angerufen hätte mit der Frage, ob wir keinen besseren Torhüter hätten. Darauf sagte ich ihm, dass mich auch ständig Leute fragen, ob wir keinen besseren Trainer hätten. Ich wurde dann beurlaubt, weil ich mich weigerte, mich zu entschuldigen. Zwei Wochen später wurde auch Köppel entlassen.

 

Nach einem halbjährigen Intermezzo in Homburg holte dich der FC Schalke. Im zweiten Jahr auf Schalke verdrängte dich ein gewisser Jens Lehmann aus dem Tor. Man kennt die Konkurrenzgeschichten zwischen Lehmann und Kahn. Wie hast du den jungen Jens Lehmann als Konkurrenten kennengelernt?
Ach, der Lehmann war ein so junger Kerl damals, der hatte ja noch nichts zu sagen. Wenn ich mich nicht schwer verletzt hätte, wäre er weiterhin nur zweiter Torwart gewesen. Ich habe ihn noch ein halbes Jahr trainiert und musste dann aufhören. Als richtiger Konkurrent habe ich Lehmann also nie erlebt.
 
Nun noch ein paar allgemeinere Fragen. Bist du noch „Fan“ eines Vereins und gehst du auch noch selbst ins Stadion, sofern es Corona zulässt?
Schalke und Uerdingen schaue ich mir manchmal noch im Stadion an. Nach Uerdingen habe ich auch noch einen starken Bezug. Und natürlich schaue ich mir auch noch die Bundesliga im Fernsehen an.
 
Hast du noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern oder Trainern und haben sich sogar Freundschaften entwickelt?
Mit einigen ehemaligen Weggefährten habe ich noch einen guten Kontakt. Unter anderem mit Wolfgang Funkel, Werner Buttgereit oder Matthias Herget.

 

Du hast mit den beiden Stürmern unserer Europameistermannschaft von 1996 zusammengespielt. Wie hast du Stefan Kuntz und Oliver Bierhoff in Uerdingen als Mitspieler erlebt?
Kuntz kam mit großen Erwartungen aus Bochum, wo er Torschützenkönig wurde. In Uerdingen lief es nicht mehr so gut. Er war sehr sensibel und auch egoistisch. Ich glaube, dass er diesen Egoismus auch gezeigt hat, als er den 1. FC Kaiserslautern in einer schwierigen Phase in verantwortlicher Position verlassen hat und sich beim DFB ins gemachte Nest gesetzt hat. Und Oliver Bierhoff war als Fußballer eine Katastrophe. Dann ging er irgendwann nach Italien und startete eine Weltkarriere. Völlig verrückt.
 
Du hast viele Trainer kennengelernt. Wie würde deine persönliche Top 3 aussehen?
Konietzka war der Erbauer dieser tollen Mannschaft. Feldkamp hat das Erbe von Konietzka angetreten und immer weiter verbessert. Aber auch Neururer auf Schalke war klasse.
 
In welchen Stadien hast du am liebsten gespielt und gab es Stadien, die du nicht gemocht hast?
Überall wo es voll und laut war, war es besonders geil. Die Atmosphäre war schon wichtig. Aber eigentlich habe ich überall gerne gespielt.

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Stationen


1974 - 1976:   Bayer 05 Uerdingen

1976 - 1979:   Eintracht Trier

1979 - 1982:   Stuttgarter Kickers

1982 - 1987:   Bayer 05 Uerdingen

1987 - 1988:   FC Homburg

1988 - 1990:   FC Schalke 04


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