"Ansgar hat dann getanzt und zwar oberkörperfrei."
Willi Landgraf ist Rekordspieler der zweiten Bundesliga. Auch die gegnerischen Fans haben ihn geliebt. Warum das so war und über große Europapokalabende mit Alemannia Aachen hat er mit uns gesprochen.
von Mario Gailing
Willi Landgraf, bevor wir uns mit der Vergangenheit befassen. Was hast du nach deiner Spielerkarriere gemacht und was machst du heute beruflich?
Ich war bis fast 40 Profi. Nach meiner Zeit bei Alemannia Aachen war ich noch bei der U23 vom FC Schalke 04. Zwischendurch habe ich meine Trainerscheine gemacht und bin aktuell Trainer der U16 von Schalke 04.
Du bist mit 18 Jahren zu deinem ersten Profieinsatz für Rot-Weiss Essen gekommen. Hast du alles auf die Karte Profifußballer gesetzt oder hast du zusätzlich eine Ausbildung als Plan B absolviert?
Ich habe nebenbei eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker absolviert. Wenn wir zweimal am Tag trainiert haben, musste ich nur einmal kommen. Und ich hatte das Glück, dass dem Präsidenten auch die Werkstatt gehörte, in der ich arbeitete. Da wurde ich öfter freigestellt. Es war aber schon immer mein Traum Profi zu werden, als ich noch im Stadion von Rot-Weiss Essen Zuschauer war. Letztendlich habe ich es dann bei Essen geschafft. Es war eine harte Zeit, aber ich war sehr ehrgeizig.
Deine ersten Trainer damals waren keine Geringeren als Horst Hrubesch und sein Assistent Peter Neururer. Wie wurdest du von Ihnen auf den Profifußball vorbereitet?
Die haben mich ins kalte Wasser geworfen und gesagt, dass ich nichts zu verlieren habe. Gerade mit Horst Hrubesch hatte ich ein Vater-Sohn-Verhältnis. Der hat mich auch mal in den Arm genommen und ich habe auch heute noch guten Kontakt mit ihm. Ein sehr menschlicher Typ, der seiner Linie immer treu geblieben ist.
Nachdem RWE 1991 abgestiegen ist, bist du zum FC Homburg gewechselt, wo im Pokalwettbewerb die ersten Highlights auf dich warteten. Welche Erinnerungen hast du an die Spiele gegen den großen FC Bayern und den damaligen deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern?
In Homburg hatte ich auch eine schöne Zeit. Ich musste Essen verlassen, weil wir immense finanzielle Probleme hatten. Bei den Bayern spielten damals Topleute wie Laudrup oder Effenberg und Heynckes war der Trainer einer Topmannschaft! Da erinnert man sich natürlich besonders gerne zurück, wenn man so eine Mannschaft besiegt hat. Gegen den FCK sind wir im Elfmeterschießen rausgeflogen. Für den Verein und die Menschen in der Region waren das Highlights und auch für uns Spieler.
1994 bist du zu Rot-Weiss Essen zurückgegangen, das im Laufe der Saison die Lizenz für die zweite Bundesliga entzogen bekam. Was hast du aus dieser turbulenten Zeit in Essen mitgenommen?
Da lernt man eine ganze Menge. Man hat damals bei RWE versucht, mit so vielen Spielern wie möglich zu arbeiten, die eine Vergangenheit im Verein hatten. Der direkte Wiederaufstieg war das Ziel. Dadurch, dass RWE das Pokalendspiel erreicht hatte, war Geld da und am Ende stand auch tatsächlich die Rückkehr in die zweite Bundesliga.
Auch mit dem FC Gütersloh und Alemannia Aachen hast du in der zweiten Bundesliga gespielt. Mit über 500 Spielen bist du Rekordspieler der zweiten Bundesliga. Stört es dich rückblickend, dass du nie in der Bundesliga gespielt hast?
Die Frage wurde mir oft gestellt. Ich bin gar nicht enttäuscht. Man darf es ja als Schalker fast nicht aussprechen, aber ich bin im Dortmunder DFB-Museum als Rekordspieler der zweiten Bundesliga in Form meines Trikots und meiner Fußballschuhe vertreten, war im Pokalendspiel in Berlin und habe im UEFA-Cup gespielt. Es gibt viele Erstligaspieler, die können das nicht von sich behaupten. Ich hatte eine sehr spannende Zeit und bin sehr zufrieden.
Dich kennen trotzdem viel mehr Fußballfans, als einen Großteil der Spieler, die in der Bundesliga gespielt haben. Welche Erklärung hast du dafür?
Ich habe immer ehrliche Arbeit abgeliefert, aber man muss auch zugeben , dass ich viel in den Medien war. Ich ging keinem Zweikampf aus dem Weg, das mögen die Leute. Ich werde äußerlich auch irgendwie nicht älter, so dass die Menschen mich immer noch erkennen. Das ist schön. Es kam auch ganz gut an, dass ich immer geblieben bin, wie ich war.
Du warst nicht nur bei den Fans deiner eigenen Mannschaften sehr beliebt, sondern der allgemeine Fußballfan hat dich einfach gemocht. Wie wird man zum Publikumsliebling?
Das hat bestimmt auch mit meiner Art zu tun, wie ich Fußball gespielt habe. Außerdem hatte ich den perfekten Namen für das Publikum. Eigentlich heiße ich Wilfried, aber alle nennen mich Willi und diesen Namen dann mit einem ganz langen i zu rufen, hat einfach super gepasst. Ich sage auch immer zu meinen Jungs, dass man nicht nur groß und technisch stark sein muss, sondern das Herz auch am richtigen Fleck haben und das hatte ich definitiv. Auch bei einer Niederlage habe ich immer alles gegeben.
Mit 37 Jahren hast du mit Aachen 2006 endlich den Aufstieg in die Bundesliga geschafft, hast den Verein aber daraufhin verlassen. Hast du dich zu alt gefühlt, um in der Bundesliga zu bestehen oder hat Aachen ohne dich geplant?
Das war eine ganz schwere Entscheidung für mich. Ich hatte ein bestimmtes Alter erreicht und wollte am Höhepunkt aufhören. Mehr konnte ich damals eigentlich nicht mehr erreichen. Die U23 von Schalke 04 wollte mich unbedingt als Leader haben. Baumjohann, Hoogland, Höwedes, Manuel Neuer – das waren alles Spieler, mit denen ich damals im Alter von 37 Jahren zusammenspielen durfte. Das war noch einmal eine richtige Herausforderung und ein Glücksgriff für mich. Schalke wollte unbedingt in die Dritte Liga aufsteigen und ich sollte derjenige sein, der den jungen Kerlen auch mal in den Hintern tritt, damit die Jungs Gas geben. Im zweiten Jahr sind wir dann auch aufgestiegen. Und so bin ich jetzt fast 15 Jahre schon auf Schalke, in denen ich sämtliche Jugendmannschaften trainiert habe.
Zwei Jahre vorher seid ihr mit der Alemannia sensationell ins DFB-Pokalfinale eingezogen. Auf dem Weg ins Finale habt ihr unter anderem Bayern und Gladbach rausgeworfen. Erzähl uns doch von dieser Pokalsaison.
Wir hatten damals eine super Saison unter Trainer Jörg Berger, der ein top Mensch war, gespielt. Aber diese Pokalspiele waren schon Highlights. Wir konnten damals gar nicht mehr ohne Polizeigeleit durch die Stadt fahren, wenn man erkannt wurde. Das war absoluter Wahnsinn und kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Dass wir das Finale erreicht haben, war für den Verein natürlich Gold wert, weil damit auf einen Schlag die Schulden weg waren. Aber auch für die Stadt und vor allem die Fans waren es großartige Zeiten. Unbeschreiblich.
Habt ihr trotzdem gefeiert, obwohl es nicht zum Pokalsieg gereicht hat?
Auch wenn wir gegen Werder Bremen 2:3 verloren haben, war es eine sehr lange Nacht, die bis etwa 6 Uhr ging. Danach mussten wir los, weil wir am Rathaus empfangen wurden. Das war richtig geil. Das Rathaus war geschmückt mit Bildern der Köpfe der Spieler. Wir durften uns dann im goldenen Buch der Stadt eintragen. Anschließend wurden wir von über 30.000 Menschen gefeiert. Es glich alles viel mehr einer Siegesfeier.
Da Werder Bremen damals in der Champions League spielte, seid ihr automatisch in den UEFA-Cup gekommen. Wie habt ihr diese Europareise erlebt, die länger ging, als es euch viele zugetraut haben?
Ich kann mich vor allem an den Sieg bei AEK Athen erinnern, als wir dort in dem riesigen umgebauten Stadion spielten. Das war super. Und dann haben wir auch noch die Gruppenphase überstanden, obwohl weitere Gegner wie OSC Lille, Zenit St. Petersburg oder der FC Sevilla warteten. Das hätte ich selbst nicht geglaubt und werde ich nie mehr vergessen, gerade weil man sonst nur in der zweiten Liga gespielt hat. Auch für den Verein war der UEFA-Cup eine Goldgrube.
Wie schwer ist es dir gefallen, deine Karriere nach so vielen Jahren zu beenden?
Gar nicht schwer. Ich hatte das Glück, dass ich nahtlos in meinen Trainerjob in der Jugendabteilung von Schalke 04 übergegangen bin.
Du hattest Trainer wie Horst Hrubesch, Peter Neururer oder Jörg Berger. Von welchen Trainern hast du am meisten mitgenommen und gab es einen persönlichen Favoriten für dich auf der Trainerbank?
Von Dieter Hecking habe ich sehr viel mitgenommen. Im Fußball ist auch Menschlichkeit sehr wichtig. Man muss da einen gesunden Mittelweg finden. Auf der einen Seite benötigt es natürlich eine gewisse Strenge, bzw. Disziplin. Aber noch wichtiger ist, dass man Mensch bleibt. Und da habe ich von vielen meiner über 25 Trainern gelernt, aber besonders von Dieter Hecking und Horst Hrubesch.
Gibt es bestimmte Spiele oder Szenen, an die du dich besonders gerne zurückerinnerst?
Am liebsten erinnere ich mich an den Zusammenhalt aller Mannschaften, in denen ich gespielt habe. Das war erstmal das wichtigste. Ich habe super Jungs kennengelernt und bis heute halte ich zu vielen den Kontakt. Ich glaube, dass man dann auch vieles richtig gemacht hat. Man kann gemeinsam in der Vergangenheit schwelgen, was für mich das Schönste ist. Deshalb erinnere mich viel lieber an ehemalige Mitspieler zurück, als an Spielsituationen.
Gibt es Dinge, die du heute in deiner Karriere als Spieler anders machen würdest?
Ich hätte mir vielleicht einen Berater nehmen sollen, weil ich immer alles selbst gemacht habe. Dann wäre ich möglicherweise auch mal in der ersten Liga gelandet. Aber wie gesagt, ich bin total zufrieden mit dem, was ich erreicht habe und auch mit dem, was ich jetzt habe. Das ist ein Fulltime-Job in der Knappenschmiede auf Schalke, in dem man den Jungs so viel mitgeben kann. Das macht mir so viel Freude und da ich das machen darf, kann ich in meiner Karriere nicht so viel falsch gemacht haben.
In welchen Stadien hast du am liebsten gespielt?
Das geilste Stadion war das Millerntor in St. Pauli früher. Oben war die Kneipe und darunter hast du dich umgezogen. Da hattest du den Zigarettenrauch in der Kabine. Das sah alles aus wie ein Western-Saloon mit unheimlich viel Flair. Der alte Aachener Tivoli hatte auch sein ganz eigenes Flair. Das waren faszinierende Stadien. Unterhaching habe ich hingegen gar nicht gemocht. Da waren keine Zuschauer und es war so ruhig. Das Stadion war zwar schön eng, aber es war nichts los. Damals sind die Besucherzahlen in der zweiten Bundesliga in die Höhe geschossen, aber in Unterhaching war davon nie etwas zu merken. Die haben dort gut gearbeitet, aber das Stadion war grausam. Die Leute gehen dort eben zu 1860 oder Bayern.
Ich würde dir zum Abschluss gerne einige Namen ehemaliger Weggefährten nennen und dich darum bitten, aufgrund persönlicher Erfahrungen, etwas zu ihnen zu sagen.
Mario Basler:
Den habe ich als 18-Jährigen kennengelernt. Er hat sich kaum verändert in all den Jahren. Immer geradeaus und ein super Typ. Auch, wenn man nicht alles gut finden muss, was er von sich gibt, ist er immer seiner Linie treu geblieben.
Rodolfo Cardoso: Ach der Rodolfo, ein total lieber Kerl. Wir haben zusammen auf der Seite gespielt. In der zweiten Liga war er aber total unterfordert, ein super Techniker. Auch als Trainer ist er seinen Weg gegangen.
Ansgar Brinkmann: Ansgar, Ansgar, oh Mann. Erstmal, als Mensch ist der überragend. Nur, wenn wir abends nach gewonnenen Spielen ausgegangen sind und ein paar Bierchen getrunken haben, musste ich ihm manchmal das Bier wegnehmen. Ansgar hat dann getanzt und zwar oberkörperfrei. Das war mir dann ein bisschen peinlich. Aber sonst überragend.
Kalle Pflipsen: Ich habe den Kalle damals kennengelernt, als er von Gladbach wegging. Ein ganz feiner Techniker. Auch er war viel zu gut für die zweite Liga, aber für uns war er Gold wert. Ein super feiner Mensch.
Erik Meijer: Erik und ich hatten zusammen unser Abschiedsspiel. Von der Körperlänge waren wir extrem unterschiedlich und vom Typ auch, aber wir haben uns super verstanden. Wir haben uns ein Zimmer geteilt. Ich bin immer früh ins Bett und habe viel geschlafen und er hat bis in die Puppen ferngesehen. Ich wollte frische Luft im Zimmer, aber er war eine richtige Weichwurst. (lacht) Wenn ich gegen 22 Uhr eingeschlafen bin, hat er immer die Fenster geschlossen und ich hatte am nächsten Morgen Kopfschmerzen. Zur Strafe habe ich ihm dann im Training immer Beinschüsse gegeben. Aber auch er ist als Mensch einwandfrei mit einem sehr guten Charakter.