Marcel Reif, Sie haben vor weit über 30 Jahren begonnen Fußballspiele zu kommentieren und haben den Wandel im Profifußball hautnah miterlebt. Welches sind die grundlegendsten Veränderungen in den ganzen Jahren gewesen?Vor allem die mediale Begleitung hat sich enorm verändert. Es gibt ja inzwischen unfassbar viele Medien, die zu jeder Zeit über den Fußball berichten. Natürlich sind auch die Ablösesummen und Siegprämien extrem gestiegen. Sportlich haben sich Tempo, Athletik und die taktische Ausbildung, sowie die Trainingsmethoden deutlich verbessert.
Können Sie sich an Ihr erstes Spiel erinnern, welches Sie kommentiert haben?
Ja, natürlich. Das war das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger zwischen Dynamo Kiew und Atlético Madrid im Jahr 1986.
Gerade erschien Ihr neues Buch „Auswärtsspiel“. Welches war das schönste Stadion aus dem Sie kommentiert haben?
Es gibt so viele schöne Stadien. Dortmund hat ein super Stadion, Anfield als Gesamtkunstwerk ist toll. Das Aztekenstadion in Mexiko-Stadt ebenso. Wenn ich mich aber entscheiden müsste würde die Wahl auf das Bernabéu in Madrid fallen.
Glauben Sie, dass durch das kommerzielle und mediale Ausschlachten des Fußballs irgendwann eine Übersättigung eintritt?
Ich habe mir so oft Sorgen um den Fußball gemacht, aber es ging immer weiter. Von daher bin ich mir sicher, dass der Fußball uns alle überleben wird. Eine Übersättigung wird es trotz allem nicht geben.
Die Kommerzialisierung schreitet immer weiter voran. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Die Entwicklung lässt sich nicht mehr stoppen. Die Kluft wird immer größer und die großen Vereine werden irgendwann in einer eigenen Superliga spielen. Dann steigt vielleicht wieder die Freude an Spielen der anderen Mannschaften.
Viele Fußballfans sind Fußballromantiker und wünschen sich die „guten alten Zeiten“ zurück. Waren die ersten 30-35 Jahre der Bundesliga wirklich so viel besser oder glorifiziert man die alten Zeiten einfach?
Es ist wie immer im Leben. Es ist schön, dass es diese schönen Zeiten gab und man erinnert sich gerne daran. Aber alles entwickelt sich weiter und das ist auch gut so.
Gibt es Spiele oder Szenen, die Ihnen immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Klar sind Europapokalendspiele noch einmal etwas anderes als ein normales Bundesligaspiel, aber ich habe es immer so für mich empfunden, dass jedes Spiel seine besonderen Momente hat und dass immer das nächste Spiel das Beste sein wird.
Sie wurden vor einigen Jahren von BVB-Fans beleidigt, bedrängt und mit Bierbechern beworfen. Man sah den blanken Hass in den Gesichtern der Täter. Ich war damals erschrocken aus welch banalen Gründen eine Person angegriffen wird. Haben Sie mit Jürgen Klopp Ihren Frieden gemacht, nachdem Sie ihn durch seine vorangegangenen Aussagen über Sie mitverantwortlich für die Angriffe gemacht haben?
Das ist alles so lange her. Ich hege keinen Groll und gönne ihm den Erfolg, den er hat. Aber wir haben überhaupt keinen Kontakt.
Die Fanszene hat sich stark verändert. Ultras machen wunderschöne Choreographien, aber mich persönlich stört der Dauergesang ohne Bezug zum Spielgeschehen. Früher wurden Mannschaften spielbezogen nach vorne geschrien. Der langjährige FCK-Spieler Michael Dusek nannte die aktuelle Stimmung in Fußballstadien in unserem Interview gar Bullshit. Welche Art der Unterstützung bevorzugen Sie?
Ich kann mit diesem Dauergesang auch überhaupt nichts anfangen. Mich stört dieser dauerhafte Gesang sogar richtig. Mit Unterstützung hat das wenig zu tun. Das Spiel steht nicht mehr im Vordergrund. Es erweckt fast den Anschein, dass das Spiel stattfindet, damit gesungen werden kann, ohne jeden Bezug zum Spiel. Nervig.
Clubs wie Hoffenheim, Leipzig, Wolfsburg oder Leverkusen haben sich in der Bundesliga etabliert. Die Fankultur ist dort eher dezent. Warum sind die Fans von sogenannten Traditionsvereinen meist deutlich enthusiastischer?
Da muss ich ganz vehement widersprechen. Das sind teilweise vielleicht kleinere Städte, aber die Menschen dort nehmen ihre Mannschaften absolut an und unterstützen sie auch richtig gut. Ich empfehle Ihnen mal ein Spiel in Leipzig anzuschauen. Das macht richtig Laune.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass so viele Traditionsvereine keine Rolle mehr im Profifußball spielen?
Tradition kann auch eine große Belastung für einen Verein sein. Vor allem, wenn man zu lange an den schwarz-weißen Bildern der erfolgreichen Vergangenheit hängen bleibt und auch daran die Erwartungshaltung geknüpft wird. Manche scheitern, andere nicht. Der HSV ist doch das beste Beispiel. Die Voraussetzungen in Hamburg könnten besser nicht sein, aber wenn über viele Jahre hinweg so vieles falsch gemacht wird, hat man keinen Erfolg.
Sie haben selbst beim FCK in der Jugend gespielt und waren im sogenannten Teufelsrat. Schlägt Ihr Herz noch für den FCK oder verlor sich diese Zuneigung aufgrund der räumlichen Entfernung und der dilettantischen Vorgehensweise der letzten Jahrzehnte?
Mich interessiert immer noch als Erstes an einem Spieltag, wie der FCK gespielt hat. Es tut einfach weh. Ich komme von diesem Verein nicht weg.
Gibt es auch Vereine, die Sie gar nicht mochten oder noch heute nicht mögen?
Nein, das kann ich mir beruflich auch nicht leisten. Mich stört es nur, wenn Mannschaften nicht so gut spielen, wie sie es eigentlich könnten. Wenn ich das bei den Bayern bemängelt habe, konnte ich mir immer anhören, dass ich mit dem FCB zu kritisch umgehe.
Hatten Sie auch Spieler als Interviewpartner, die Ihnen unangenehm waren?
Zum Glück musste ich kaum Interviews führen. Aber wenn dann doch mal ein 22-jähriger Schnösel kam und den Superstar raushängen ließ, habe ich mich umgedreht und höflich verabschiedet.
Hatten Sie ein Kommentator- oder Reportervorbild?
Rudi Michel fand ich toll. Und auch von Dieter Kürten habe ich sehr viel gelernt. Aber ich habe meinen eigenen Stil gefunden und bin diesem auch treu geblieben.
Mit Fritz von Thurn und Taxis, Werner Hansch und Manni Breuckmann wurden in letzter Zeit vermehrt Kommentatoren-Legenden aus dem Ruhestand geholt. Merken auch die Medien, dass sich große Teile des Publikums nach den alten Zeiten zurücksehnen?
Das kann schon eine Art Werbegag gewesen sein, der aber nur mit dem Interesse des dazugehörigen Publikums möglich ist. Von daher ist das ok und es ist ja auch Geschmacksache. Das heißt aber nicht, dass die heutige Generation der Kommentatoren schlechter ist.
Heute sind Interviews mit Fußballern häufig ohne echte Aussage, wirken komplett durchorganisiert. Früher hatte man das Gefühl, dass im Profifußball ehrlicher die eigene Meinung vertreten wurde. Können Sie das bestätigen?
Die Spieler werden tatsächlich dahingehend trainiert nichts Falsches zu sagen. Früher gab es da schon gesprächigere Spieler. Allerdings kommt heute auch jedes Wort auf die Goldwaage.
Vergleichen Sie doch bitte mal die Fußballer von vor 30 Jahren mit den heutigen Spielern?
Fangen wir an mit Tattoos und Frisuren. Aber im Ernst - der Vergleich wäre doch gar nicht fair. Man kann vielleicht einen Ronaldo mit einem Messi vergleichen, weil sie in der gleichen Ära spielen, aber Fußballer von früher und heute sind nicht miteinander zu vergleichen. Früher war alles weniger dramatisch. Heute werden direkt Selfies gemacht oder Fanfotos mit dem Smartphone. Spieler von heute können sich gar nicht mehr so frei bewegen und stehen unter ständiger Beobachtung.
Sie haben so viele große Persönlichkeiten des Fußballs kennengelernt. Gibt es Geschichten, an die Sie sich besonders gerne zurückerinnern?
Da gibt es Tausende. Gerne erinnere ich mich an ein Interview mit Diego Maradona nach einem Training beim SSC Neapel zurück. Er war ein ganz scheuer Junge und ich bekam fast nichts aus ihm heraus. Er hatte seine Tochter dabei. Erst als ich mit ihm auf Italienisch über seine Tochter sprach war das Eis gebrochen.
Zum Abschluss würde ich gerne ein paar Namen nennen und Sie darum bitten in aller Kürze aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen zu beschreiben, was Ihnen zu den Personen als Erstes einfällt.
Franz Beckenbauer:
Einer der loyalsten, bescheidensten und normalsten Menschen, dessen Denkmal gerade gestürzt wird.
Uli Hoeneß:
Immer ein guter Gesprächspartner, der seine Strafe abgesessen und Buße getan hat.
Fritz Walter:
Ihn habe ich mal gesehen und er sprach mich an, weil er erfahren hatte, dass ich FCK-Jugendspieler war. Er bot mir das Du an. Für diese Erfahrung würde ich den Grimme-Preis abgeben.
Dieter Kürten:
Bis heute ein toller Freund und mein Mentor in jungen Jahren.
Günther Jauch:
Auch er ist ein Freund von mir, mit dem ich irgendwann mal 76 Minuten Quatsch geredet habe, was den Leuten offensichtlich gut gefallen hat.
Auszeichnungen:
"MIRA-Award" 2012
“Grimme Preis”, FIFA WM Kommentar, 2003
“Deutscher Fernsehpreis“, FIFA WM Kommentar, 2002
“Bayerischer Fernsehpreis“, CL-Kommentar,1998
"Silberne Kugel" NOK 1994