von Mario Gailing
Marco Haber, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere gemacht haben und heute beruflich machen.
Ich hatte das Glück, dass ich direkt im Fußballgeschäft weiterarbeiten konnte. Nach dem Karriereende als Spieler 2008, war ich direkt als Sportlicher Leiter und Co-Trainer in Ludwigshafen-Oggersheim tätig. Damals in der Regionalliga. 2009 kam ich zurück nach Hause auf den Betze als Teammanager der Profis. Bis 2013 war ich bei der Lizenzspielerabteilung und bin dann ins Nachwuchsleistungszentrum des FCK, um mich mit neuen Aufgaben und Bereichen zu beschäftigen und meine Erfahrungen an junge Talente weiterzugeben. Bis 2017 war ich als Koordinator für den Leistungsbereich und Übergangsbereich verantwortlich. Seit August 2020 bin ich im NLZ bei den Junglöwen vom TSV 1860 München als Leiter Talentsichtung und Kaderplanung tätig.
Sie sind mit 13 Jahren in die Jugendabteilung des 1. FC Kaiserslautern gewechselt. Wie wurde der FCK auf Sie aufmerksam?
Das war durch den Vater eines Schulkameraden. Wir haben damals in der Schülermannschaft gespielt und der Schulfreund war schon Jugendspieler beim FCK.
Dabei bin ich dem Vater wohl so positiv aufgefallen, dass er dem damaligen Trainer gesagt hat, dass da ein Junge bei seinem Sohn in der Schule spielt, den sie holen müssen.
Es kam zum Treffen und 1985 bin ich dann in die Jugend vom 1. FC Kaiserslautern gewechselt.
Mit 18 Jahren kamen Sie unter Trainer Roggensack in der Bundesliga dreimal in Folge für den FCK zum Einsatz, ehe Sie für 10 Monate nicht mehr berücksichtigt worden sind. Haben Sie da schon befürchtet, dass es mit der Profikarriere nicht klappen würde?
Nein, auf keinen Fall. Die Einsätze hatte ich als A-Jugendspieler. Ich durfte damals schon bei den Profis trainieren und kam so zu meinen ersten Einsätzen. Richtig begann es erst für mich nach dem Trainerwechsel zu Kalli Feldkamp und der neuen Saison 90/91.
Wie hat man Ihnen erklärt, warum Sie plötzlich nicht mehr spielten?
Wie gesagt, das war kein Problem. Ich war schon zufrieden mit der Teilnahme am Training und bin bestimmt auf Grund von Personalsorgen ins Team gerutscht. Der grobe Plan war ja, mich nach der Jugendzeit für die Profimannschaft zu entwickeln und reinzuspielen.
Hatten Sie einen Plan B in der Tasche für den Fall, dass es nicht für die große Karriere gereicht hätte?
Ich habe damals eine Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht. Auch wenn sich der Weg im Fußball schon abgezeichnet hatte, wollte ich eine Berufsausbildung machen. Kurioserweise war meine Abschlussprüfung in der Woche vorm letzten Spieltag zur deutschen Meisterschaft 1991 in Köln. Ich habe also in meinem tollen ersten Profijahr noch meine Ausbildung nebenher abgeschlossen.
Im Oktober 1989 standen Sie erstmals in der Startelf gegen Bayer Leverkusen. Können Sie sich an den Moment erinnern, als Sie von Ihrem Startelf-Debüt erfuhren?
Nicht mehr so genau. Trainer Gerd Roggensack hat es mir, glaube ich, schon am Vortag im Mannschaftshotel gesagt. Ich war sehr aufgeregt und voller Vorfreude in der Bundesliga aufzulaufen.
Sie kamen aus der eigenen Jugend zu den Profis. Wie haben Sie die gestandenen Kerle wie beispielsweise Ehrmann, Wuttke oder Kuntz aufgenommen?
Man musste schon demütig und ruhig bleiben. Wenn man gute Leistungen gebracht hat und auf die erfahrenen Spieler gehört hat, war man schnell akzeptiert. Die Mannschaft von 90/91 hat es mir als Nesthäkchen natürlich auch leicht gemacht. Es war eine super Atmosphäre und Kameradschaft in der Truppe.
Gehen wir nochmal einige Monate zurück. Nachdem der FCK 1989 nach 30 Minuten im Derby gegen Waldhof Mannheim 0:4 hinten lag und auf einen Abstiegsplatz rutschte, übernahm Kalli Feldkamp, der die Mannschaft mit einem tollen Endspurt vor dem Abstieg rettete und Pokalsieger wurde. Was machte Feldkamp besser?
Ich war ja noch A-Jugendspieler zu diesem Zeitpunkt. Ich habe zwar mit den Profis regelmäßig trainiert, aber war noch kein fester Kaderspieler. Man hat bei Kalli einfach schnell gespürt, dass er aus jedem Einzelnen das Beste rausholen konnte. Obwohl Kalli zu Beginn wohl selbst nicht geglaubt hätte, welche Entwicklung diese Mannschaft nimmt. Er hatte ein sehr gutes Gespür, wie er die Spieler anpacken musste.
Unter Feldkamp wurden Sie in der Meistersaison 90/91 Stammspieler. Wann haben Sie zum ersten Mal darüber nachgedacht, dass der FCK Meister werden könnte? Kein Mensch hätte vor der Saison auf einen deutschen Meister aus Kaiserslautern gesetzt.
Daran habe ich wirklich erst sehr spät in der Saison gedacht, als wir die Bayern zu Hause besiegt hatten. Danach war uns allen bewusst, dass wir eine große Chance haben, den Titel zu gewinnen. Es stimmt, dass uns niemand auf dem Zettel hatte. Auch völlig zurecht. In der Vorsaison gerade dem Abstieg entkommen, was sollte von unserer Truppe denn erwartet werden?!
Aus dem Jugendspieler Marco Haber wurde innerhalb weniger Monate ein Star, der von den Medien und Fachleuten zu den größten Talenten Deutschlands ernannt wurde und am Ende der Saison mit 19 Jahren deutscher Meister war. Hatte es Ihr Umfeld schwer Sie auf dem Boden zu halten?
Nein, meine Familie ist da sehr bodenständig. Wir kommen aus ganz normalen Verhältnissen. Ich bin auf dem Dorf groß geworden und habe natürlich die Anerkennung und den Stolz gespürt. Da fühlt man sich als junger Kerl natürlich unbesiegbar und genießt auch den neu gewonnenen Status.
Am letzten Spieltag pilgerten 40.000 FCK-Fans ins Müngersdorfer Stadion nach Köln zum „Endspiel“. Sie trafen beim 6:2-Sieg doppelt, unter anderem zum 1:0. Unvergessen, wie die Fans kurz vor dem Abpfiff den Rasen stürmten. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Das war im Grunde das Spiel meiner Karriere. Es lief von Beginn an super für uns. Wir haben ohne negative Gedanken gespielt. Mit dem 4:1 zur Pause waren wir natürlich euphorisiert und haben auch in der 2. Halbzeit weiter nach vorne gespielt.
Als die ca. 10.000 FCK-Fans auf das Spielfeld gestürmt sind, haben wir erstmal gedacht: „Geht wieder runter, sonst wird das Spiel vielleicht abgebrochen und alles war umsonst.“
Ich habe keinen Schlusspfiff gehört und wir hatten echt Bedenken, dass es negative Auswirkungen hat. Aber diese Freude konnten wir dann schnell mit unseren Fans erleben.
Wenige Monate nach diesem Triumph kam es zu einem der größten FCK-Spiele in der FCK-Historie. Der große FC Barcelona war im Europapokal der Landesmeister-Wettbewerb zu Gast auf dem Betzenberg. Nach grandiosem Spiel und einer 3:0-Führung traf Barca in der letzten Sekunde, was das Aus für den FCK bedeutete. Was haben sie damals gefühlt?
Nichts!!! Total leer! Geschockt und ungläubig, wie alle Zuschauer auf den Rängen.
Wir haben Barca total beherrscht und hätten auch 4:0 oder 5:0 führen müssen.
Das war sicher eine meiner größten Enttäuschungen.
Das Fritz-Walter-Stadion platzte an diesem Abend aus allen Nähten, die ersten Minuten war fast nichts zu sehen, weil Rauchbomben und rote Pyrotechnik den Platz in dichten Nebel hüllten. Nimmt man eine solche Atmosphäre als Spieler wahr oder ist man in seinem Konzentrationstunnel?
Na klar nimmt man es wahr. Diese positive Atmosphäre trägt einen Spieler auch. Natürlich ist man konzentriert während dem Spiel. Dadurch kriegt man nicht alles so intensiv mit. Aber diese Gesamtstimmung spürt man auf dem Feld.
Im Hinspiel mussten Sie vor über 65.000 fanatischen Katalanen im Camp Nou antreten. Für Barca standen Weltstars wie Laudrup, Stoichkov oder Guardiola auf dem Platz. Welche Rolle spielte Ehrfurcht in diesem ehrwürdigen Stadion mit diesen Weltklasse-Spielern?
Ich hatte schon etwas Ehrfurcht. Als junger Spieler ist das natürlich eine riesige Herausforderung. Aber dafür spielten wir doch alle Fußball, um solche Spiele zu bestreiten. Deshalb haben wir uns einfach auf die Sache konzentriert. Unsere Fans waren auch so weit weg im Oberrang, dass wir die kaum sehen konnten. Das war schon eine beeindruckende Schüssel.
Der FCK hat sich in den 90er-Jahren zu einem Top-Club in der Bundesliga entwickelt und sie gehörten die meiste Zeit zu den Leistungsträgern. Warum hat es Sie 1995 trotzdem zum VfB Stuttgart gezogen?
Weil es eben nicht stetig aufwärts ging in der persönlichen Entwicklung. Die Erwartungshaltung und Ansprüche sind gestiegen. Das konnte ich nicht immer erfüllen. Als Spieler aus der eigenen Jugend habe ich damals auch nicht die Wertschätzung gespürt. Dann kamen Angebote von Leverkusen und Stuttgart. Ich habe mich für den VfB Stuttgart entschieden, weil ich gute Gespräche mit dem VfB hatte und einfach ein gutes Gefühl hatte, dass es der richtige Verein für mich war.
In Stuttgart wurden Sie 1997 Pokalsieger unter Jogi Löw, der den VfB auch wieder in der Bundesliga-Spitze etablierte und nach Europa führte. Was machte Löw besser, als seine Vorgänger, die mit dem VfB im hinteren Mittelfeld landeten?
Jogi war ja auch in meinem ersten Jahr der Co-Trainer von Rolf Fringer. Ich will gar nicht von besser oder schlechter in diesem Zusammenhang sprechen. Unter Jogi lief es dann harmonischer und besser in der gesamten Mannschaft. Er hatte schon seine taktischen Vorgaben, aber er konnte uns auch viele Freiheiten gewähren. Das hat die Truppe damals überragend umgesetzt.
Im darauffolgenden Jahr schafften Sie es im Europapokal der Pokalsieger bis ins Finale gegen Chelsea, das mit 0:1 verloren ging. Wie haben Sie diese Niederlage verkraftet?
Ganz normal. Es war natürlich eine große Enttäuschung. Ein Finale will man auch gewinnen. Mein Abschied aus Stuttgart stand fest und ich habe auch leider kein besonders gutes Spiel im Finale abgeliefert.
1998 wechselten Sie nach Spanien zu UD Las Palmas, ehe Sie 1999 zum Bundesliga-Aufsteiger Unterhaching wechselten. Dort kam es am letzten Spieltag zu dem legendären Spiel gegen Bayer Leverkusen, das mit einem Punkt Meister gewesen wäre. Für Unterhaching ging es um nichts mehr. Wie haben Sie sich mit der Mannschaft damals motiviert, um nochmal alles zu geben?
Auch hier hatten wir eine funktionierende Truppe. Wir haben die ganze Saison als Dorf-Club und Außenseiter gespielt. Jedes Spiel in der Bundesliga war eine riesige Motivation für Haching. Warum sollten wir am letzten Spieltag damit aufhören?! Wir haben gegen die Spitzenteams nochmal was draufgepackt. Sonst hätten wir als Haching keine Chance gehabt.
Hat der FC Bayern mit einer Belohnung Motivationshilfe geleistet? Mit dem 2:0 haben sie die Bayern schließlich zum Meister gemacht.
Nein! Die Bayern waren dann aber sehr dankbar und haben uns kurzfristig zur Meisterfeier eingeladen. Dort sind wir nach unserer eigenen Klassenerhalts-Feier auch spontan vorbeigekommen.
In der Nationalmannschaft konnten Sie keine große Rolle spielen, obwohl sie über viele Jahre konstant starke Leistungen brachten und Sie schon Anfang der 90er-Jahre als Megatalent galten. Was glauben Sie, worin Ihre Nichtberücksichtigung begründet war?
Generell war es damals schwieriger in die Nationalmannschaft eingeladen zu werden. Wenn ich heutzutage mit 19 Jahren eine solche Saison spielen würde und Meister werde, dann hätte die Einladung nicht lange gedauert. Man musste seine Leistungen konstant bestätigen. Das habe ich auch nicht ganz geschafft. Deshalb wurde ich erst später berufen.
Mit welchen Ihrer Trainer haben Sie am liebsten zusammengearbeitet?
Vor allem mit Kalli Feldkamp, Jogi Löw, Ernst Diehl und Lorenz-Günther Köstner.
In welchen Stadien waren Sie gerne zu Gast?
In Köln im Müngersdorfer Stadion, im Bremer Weserstadion, im Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion, dem Schalker Parkstadion und dem Freiburger Dreisamstadion habe ich am liebsten gespielt.
Wo hatten Sie im Nachhinein Ihre schönste Zeit?
Überall gab es schöne Zeiten und tolle Momente. Sportliche Erfolge sind nicht immer mit der schönsten Zeit gleich zu setzen. Aber trotzdem waren die schönsten Jahre in Kaiserslautern und Stuttgart.
Würden Sie heute alles genauso wiedermachen, wie sie es im Lauf Ihrer Karriere gemacht haben?
Möglicherweise nicht alles. Ich hätte mehr für meine Karriere tun müssen und habe mich in den jungen Jahren auf mein Talent verlassen. Vielleicht habe ich deshalb nicht mehr Länderspiele absolviert oder die Erfolge mit Kaiserslautern nicht konstant wiederholen können. Aber ich bin trotzdem zufrieden mit meiner Karriere und kann stolz auf das Erreichte sein.
Ich würde Ihnen gerne den ein oder anderen Namen alter Weggefährten nennen und Sie darum bitten, aufgrund persönlicher Erfahrungen, in aller Kürze etwas zu den Persönlichkeiten zu sagen.
Stefan Kuntz: Absoluter Führungsspieler und Persönlichkeit. Ein guter Freund.
Miroslav Kadlec:
Toller, bescheidener Typ. Riesen Fußballer.
Andreas Brehme: Weltklassespieler und für jeden Spaß zu haben.
Gerry Ehrmann: Wahnsinniger auf dem Platz. Positiv verrückt.
Giovane Elber: Einer der besten Spieler, mit dem ich zusammenspielen durfte. Eine Frohnatur und super Typ.