Manni Breuckmann, du hast weit über 30 Jahre Fußballspiele kommentiert und hast den Wandel im Profifußball hautnah miterlebt. Welches sind die grundlegendsten Veränderungen in den ganzen Jahren gewesen?
Da hat sich vieles verändert. Das fängt schon bei der Vielzahl der Berichterstatter an, die sich bei einem Bundesligaspiel versammeln. Privat-Radio und -TV, Internet - Ich schätze mal, dass heute ungefähr dreimal so viele Menschen in den Presseräumen sind wie in den Siebzigern, als ich mit den Fußballreportagen angefangen habe. Das Spiel hat sich auch verändert, ist schneller und taktisch variabler geworden. Die Kommerzialisierung ist in astronomische Bereiche vorgestoßen. Wenn die Spitzenkräfte damals 500.000 Mark im Jahr bekommen haben, war das schon sehr viel. Heute geht von den Top-Leuten bei Bayern München keiner unter zehn Millionen Euro nach Hause. Und schließlich: Heute brüllen mich die Reporter permanent an und machen aus Köln gegen Augsburg ein WM-Finale. Weil „das Produkt“ so klasse ist und in Marktschreier-Manier verkauft werden muss.
Gehst du in deiner Freizeit noch ins Stadion oder schaust du dir die Spiele lieber im TV an?
Ich gebe zu, ich bin etwas fauler geworden und durchaus in der Lage, als Couch-Kartoffel die Spiele zu genießen. Falls es denn was zu genießen gibt. Aber so etwa zehn Mal im Jahr fahre ich noch in die Stadien, vorzugsweise in die große Donnerhalle des ruhmreichen FC Schalke 04. Aber bitte mit mindestens zwanzig Zentimetern Schaumstoffsitz unterm Hintern!
Als Kind in den 80ern habe ich samstags um 15.30 Uhr Radio gehört und abends die Sportschau geschaut. Damit war ich glücklich. Besteht das Risiko, dass irgendwann das Interesse der Allgemeinheit am Fußball schwindet, weil man zugeschüttet wird mit dem „Produkt“ Fußball?
Hab ich auch schon mal drüber nachgedacht. Ich glaube aber, dass der Fußball so tief in den deutschen Gemütern verankert ist, dass sich das Interesse nicht wahrnehmbar abkühlen wird. Das hängt auch damit zusammen, dass die mediale Begleitung mittlerweile den professionellen Fußball in gigantischem Maße befeuert. Inklusive eines „Topspiels“ am Samstagabend, in dem schon mal Dortmund gegen Mainz antritt. Und wer will und die entsprechenden Abos hat, kann jeden Abend Fußball gucken. Grausam, soll es aber geben.
Die Kommerzialisierung schreitet immer weiter voran. Wie bewertest du diese Entwicklung?
Die Kommerzialisierung wird sicherlich irgendwann, was die Höhe der Summen angeht, an ihre Grenzen stoßen. Sie ist aber nicht aufzuhalten, wir können nur versuchen, die schlimmsten Auswüchse einzudämmen. Zum Beispiel die Deutsche-Vermögensberatung-Halbzeitanalyse. Oder den Fanclub der Nationalmannschaft - powered by Coca-Cola. Ich unterliege nicht dem Irrtum, dass die Mehrzahl der Fußballfans diese Entwicklung kritisch sieht; den meisten ist das nach meinen Beobachtungen schlicht egal. Darum brauchen wir aktive, kritische Fans, die an bestimmten Punkten Einspruch erheben. Aber das große Showbusiness-Rad, es dreht sich weiter. Der Fußball darf sich nicht mehr selber genügen, er wird permanent benutzt, um Marken oder Unternehmen nach vorne zu bringen. Und die Big Bosse hätten gerne die Devise: Konsumieren und die Schnauze halten.
Viele Fußballfans sind Fußballromantiker und wünschen sich die „guten alten Zeiten“ zurück. Waren die ersten 30-35 Jahre der Bundesliga wirklich so viel besser?
Der Begriff „Fußballromantiker“ bringt mich normalerweise auf die Palme. Denn er unterstellt, da läuft einer mit einem naiven Realitätsverlust durch die Gegend, weil er die Herrschaft des großen Geldes kritisiert, weil er die Umdeutung des Fans zum „Kunden“ und des Fußballs zum „Produkt“ nicht mitmachen will. Die „guten alten Zeiten“ hat es in dieser Form nicht gegeben, ich erinnere nur an den Bundesliga-Skandal in den Siebzigern, als eine Reihe von Spielen verschoben wurden. Die Geldgeilheit und viele andere schlechte menschlichen Eigenschaften waren im bezahlten Fußball schon immer unterwegs. Einiges ist gegenüber früher sogar besser geworden, so zum Beispiel die Leistungszentren der Vereine, in denen auch ein Auge auf die schulische Bildung der Spieler geworfen wird.
Gibt es Spiele oder Szenen, die dir immer noch besonders gut im Gedächtnis sind?
Das 6:6 der Schalker im Pokal 1984, als der Jungspund Olaf Thon drei Tore schoss.
Die scheiß „Meisterschaft der Herzen“ 2001 der Schalker, als Markus Merk beim Spiel HSV gegen Bayern einen Freistoß pfiff, der keiner war.
Das 3:1 der Dortmunder im Champions-League-Finale 1997 gegen Juve mit dem Lupfer-Tor von Lars Ricken (ich hab’s vorhergesagt!).
Der Schalker Triumph im UEFA-Cup-Finale 1997 bei Inter Mailand. Letzter Elfmeter im Elfmeterschießen: Wilmots, dat Kampfschwein.
Der „Nichtangriffspakt“ der Deutschen und der Österreicher bei der WM 1982 in Spanien, als das 1:0 nach einer Viertelstunde das richtige Ergebnis für beide war, und beide Mannschaften das Fußballspielen einstellten.
Der Sieg der deutschen Mannschaft im EM-Halbfinale 1996 gegen England im Wembley-Stadion durch Elfmeterschießen. Letzter Elfmeter: Andi Möller.
Mein erstes Spiel am Mikrofon: 7. Mai 1972, Regionalliga West (damals zweithöchste Spielklasse), Wattenscheid-VfR Neuss 2:0. Der Tag, an dem ich vierzig Zigaretten rauchte.
Ich hätte noch ein paar mehr.
In den 90ern hat sich Pyrotechnik in den Stadien etabliert. Man hat das Gefühl, dass seit dem Pyroverbot deutlich mehr gefackelt wird. Sollte man Pyro in den Stadien deiner Meinung nach wieder dulden oder härter gegen die einzelnen Personen vorgehen?
Die Pyrotechnik ist hochgefährlich und daher nicht verhandelbar. Außerdem gehört sie nicht zu den unverzichtbaren Bestandteilen der Fankultur in Deutschland, sondern wurde von einer einzigen Fangruppe, den Ultras, aus Italien importiert. Kontrollen verschärfen, wann immer möglich die Zündler identifizieren und bestrafen.
Die Fanszene hat sich stark verändert. Ultras machen wunderschöne Choreographien, aber mich persönlich stört der Dauergesang ohne Bezug zum Spielgeschehen. Früher wurden Mannschaften spielbezogen nach vorne geschrien. Der langjährige FCK-Spieler Michael Dusek nannte die aktuelle Stimmung im Stadion in unserem Interview gar Bullshit. Welche Art der Unterstützung bevorzugst du?
Ich finde das Dauer-Gesinge auch nervig, vor allem weil es oft keinerlei Bezug zu bestimmten Spielszenen hat. Ich wünschte mir eine situationsabhängige Unterstützung der Mannschaften. Vor zwei Jahren habe ich mal in England ManCity gegen Liverpool gesehen. Da funktionierte das wunderbar. Okay, zwischendurch ist es mal ruhiger, aber das hängt damit zusammen, dass im Spiel gerade nicht so viel passiert. Dann ist das eben so.
Clubs wie Hoffenheim, Leipzig, Wolfsburg oder Leverkusen haben sich in der Bundesliga etabliert. Die Fankultur ist dort eher
dezent. Warum sind die Fans von sogenannten Traditionsvereinen meist deutlich enthusiastischer?
Das würde ich nicht komplett unterschreiben. In Leipzig zum Beispiel ist es auch ganz schön munter. Trotzdem lehne ich das dortige Konstrukt ab. Ich weiß aber, dass da nichts mehr rückgängig gemacht wird. Und dass die Leipziger sich unbändig freuen, dass sie Bundesligafußball gucken können. Die größere Inbrunst und damit auch Lautstärke, die es bei den „Traditionsvereinen“ (Leverkusen ist auch schon über 30 Jahre in der Bundesliga!) tendenziell gibt, hängt vielleicht mit der starken Verbundenheit der Fans mit dem Club zusammen. Da werden ja Dauerkarten vererbt, da definiert sich eine ganze Stadt oder gar eine Region mit dem lokalen Verein. Kann sein, dass dann die Unterstützung enthusiastischer ist, weil der Fußballclub viel mehr als Teil der Existenz begriffen wird wie etwa in Wolfsburg.
Du sagst selbst von dir, dass du kein Fan eines Fußballvereins bist. Es haben sich aber doch sicherlich Sympathien für bestimmte Vereine entwickelt?
Ich bezeichne mich deswegen nicht als Fan, weil ich fast vier Jahrzehnte als Journalist durch´s Leben gegangen bin. Für mich bedeutet das automatisch eine gewisse Distanz zum gesamten Fußballbetrieb und auch zu einzelnen Vereinen. Darum kann ich kein „Fan“ sein. Da steckt ja auch sowas wie „fanatisch“ drin, damit habe ich nichts am Hut. Ich habe auch immer kritisiert, dass sich manche Berichterstatter als Teil des Fußball-Showbusiness sehen, als Fans, die es über die Bande geschafft haben. Das hat dann mit Journalismus nichts mehr zu tun und führt auch ganz locker dazu, dass kritikwürdige Tatbestände nicht mehr kritisiert werden. Weil man ja selber für das Produkt Fußball bezahlt hat, und das muss allein deswegen klasse sein. Ich habe mal bei der Fußball-WM 2006 eine hochrangige Radio-Journalistin mit dem Deutschland-Trikot auf der Pressetribüne gesehen und bin vor Fremdscham fast im Boden versunken.
Selbstverständlich habe ich Sympathien für bestimmte Fußballvereine. Ganz klar an der Spitze steht der FC Schalke 04. Das empfiehlt sich ganz besonders, wenn du die Grenzen deiner Leidensfähigkeit testen willst. Aber was ist das gegen die Anhänger von München 60, Eintracht Braunschweig, Rot-Weiß Essen oder dem MSV Duisburg? Meine zweite Liebe ist seit ein paar Jahren Union Berlin. Da fahre ich ein-, zweimal pro Jahr hin und guck mir an der Alten Försterei die großartige Fankultur an. St. Pauli mag ich auch, und solche Clubs wie Mainz oder Freiburg. Dort, wo die ganze Sache noch nicht so ins Gigantomanische abgedriftet ist, und wo noch ein wenig vom „alten“ Fußball zu spüren ist.
Gibt es auch Vereine, die du gar nicht mochtest oder noch heute nicht magst?
Oben drüber steht: Ich hasse nichts und niemanden, auf keinen Fall irgendeinen Fußballverein. Bei den Bayern haben mich manchmal die arroganten Anwandlungen von solchen Protagonisten wie Hoeneß und Rummenigge geärgert. Aber den Erfolg der Bayern über Jahrzehnte erkenne ich durchaus an. Nach dem David-Goliath-Prinzip freue ich mich aber jedes Mal, wenn die Bayern einen mitkriegen. Eine neutrale bis kritische Haltung habe ich gegenüber solchen Vereinen wie Hoffenheim, Wolfsburg, Hertha oder Leipzig. Da kommen einfach keine positiven Gefühle hoch. Eine Ausnahme in der Beziehung ist Bayer Leverkusen. Dort habe ich schon zu oft wunderbaren Fußball übertragen, bis hin zum Champions-League-Finale 2002 gegen Real Madrid. Bayer ist deshalb für mich eher im positiven Bereich.
Gab es Mannschaften, deren Spiele du bevorzugt oder auch weniger gerne kommentiert hast?
Ich war ja als Reporter des WDR nur im Westen unterwegs, und natürlich auch mit den Westvereinen in Europa. Sehr gerne habe ich immer dort übertragen, wo ich nicht zu weit vom Spielfeld entfernt saß. Das hat die Arbeit einfacher gemacht, weil ich mehr Details erkennen konnte. In früheren Zeiten saßen wir manchmal sogar hautnah am Spielfeldrand, z. B. in Aachen, in Oberhausen, bei Schwarz-Weiß Essen, das machte die Atmosphäre ganz besonders prickelnd, auch wenn die Übersicht nicht so toll war. Extrem weit weg befand ich mich in den ersten Jahren im Parkstadion, zwar schön warm in einer wohnzimmerähnlichen Kabine, aber mit geschätzten hundert Metern zur gegenüberliegenden Eckfahne. Furchtbar! Da musste immer viel geraten werden, denn in den Siebzigern gab es für die Hörfunk-Reporter ja noch nicht einmal einen Monitor. Am wohlsten habe ich mich immer in meiner Stamm-Region, dem Ruhrgebiet gefühlt. Auf Schalke, in Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, Oberhausen oder Wattenscheid. Da ticken die Leute wie ich, das erhöht den Spaß an der Arbeit. Besonders klasse war die Übertragungs-Position im neu erbauten Dortmunder Westfalenstadion in den Siebzigern. Da stand ich am liebsten auf einem Podest unter dem Tribünendach, und die Stimmung der 54.000 schlug förmlich über mir zusammen. Obergeil!
Hattest du auch Spieler als Interviewpartner, die dir unangenehm waren?
Da fällt mir auf Anhieb keiner ein. Oder doch: Einmal hat mir Thomas Helmer ein patziges Interview in Mönchengladbach gegeben. Er war wohl sauer, weil die Bayern nicht gewonnen hatten. Das ist aber längst vergeben und vergessen. Thomas ist ein sympathischer Mensch. Ansonsten finde ich die inhaltslosen Interviews ganz grausam, in denen sich Spieler und Trainer in nichtssagende Floskeln retten. Da hätte ich am liebsten die Interviews hinterher in die Tonne gekloppt. Aber im Laufe der Jahre hat sich das so entwickelt, dass die Inhalte überhaupt nicht mehr interessierten. Es zählte nur die Tatsache, dass der große Star sich dazu herabgelassen hatte, irgendetwas abzusondern. Deswegen war ich sehr froh, dass ich die letzten fünfzehn Jahre nur der reine Spiel-Reporter war, der mit der Vor- und Nachberichterstattung nichts zu tun hatte.
Welches Stadion war das Schönste, aus dem du kommentiert hast?
Das Imposanteste war das Azteken-Stadion mit seinen 110 000 Zuschauern, wo ich 1986 beim WM-Finale dabei war. Da lag ständig ein sirrendes Geräusch in der Luft und die Stimmungs-Explosionen unter den argentinischen Fans machten mir eine Gänsehaut. Das alte Wembley-Stadion hat mich auch sehr beeindruckt, Anfield in Liverpool sowieso. Die alten englischen Stadien inmitten von Wohngebieten atmeten alle eine tolle Fußball-Atmosphäre, da wurde einem schon klar, dass dort im zwanzigsten Jahrhundert die Wiegen des Fußballs standen. Die modernen Stadien sind oft funktional und seelenlos. Sie ähneln sich häufig wie ein Ei dem anderen. Allerdings muss gerade ich als Schalker gestehen, dass mir das Dortmunder Stadion mit der Fan-Wand in den falschen Farben besser gefällt als das amerikanisierte Konzept der Schalker Arena.
Stehst du noch in Kontakt mit ehemaligen Spielern, Trainern oder Funktionären?
Engeren privaten Kontakt habe ich mit niemandem aus der Fußball-Szene gehabt. Das hing damit zusammen, dass ich ja „im Hauptberuf“ Moderator von aktuellen Sendungen war und nur am Wochenende vorübergehend in den Stadien auftauchte. Aber ich kenne natürlich eine ganze Menge der alten Spieler und Funktionäre ganz gut und laufe ihnen bei diversen Anlässen über den Weg: Olaf Thon, Klaus Fischer, Lars Ricken, Gerd Zewe, Egon Köhnen, Klaus Allofs, Peter Neururer, Reinhard Rauball, Hans Meyer, Rainer Bonhof, um nur einige von ihnen zu nennen. Mit Rudi Assauer hatte ich auch sehr häufig zu tun und ich kann von mir behaupten, dass ich es relativ schnell hinbekommen habe seinen Macho-Appeal zu knacken - nie einknicken, immer verbal Widerstand leisten, dann war er schnell handzahm. Leider ist er an dieser furchtbaren Krankheit gestorben und die diversen Frauen in seinem Leben fetzen sich bis auf den heutigen Tag. Schade.
Hattest du ein Kommentator-Vorbild?
Nein, ein konkretes Vorbild hatte ich nicht. Es war eher das komplette Genre der Radio-Kommentatoren. Deren Stil war ja, abgesehen vom jeweiligen Temperament, vergleichbar. Ich weiß heute noch, wie ich Ende der 60er den mittlerweile auch verstorbenen Kollegen Jochen Hageleit im Stimbergstadion in Erkenschwick bei der Arbeit beobachtet habe. Er stand auf dem mit Teerpappe ausgelegten Toilettendach und vollführte währende seiner temperamentvollen Reportage mit den Armen rudernd eine Art Square Dance: ein Schritt vor, einen zur Seite, dann zurück und wieder zur Seite. Das hat mich sehr beeindruckt. Sowas in der Art wollte ich schon damals gerne machen. Und Gott sei Dank hat es ja geklappt.
Mit Fritz von Thurn und Taxis, Werner Hansch und dir wurden in letzter Zeit vermehrt Kommentatoren-Legenden aus dem Ruhestand geholt. Das macht eine große Wertschätzung eurer Arbeit deutlich. Wart ihr früher besser als die heutigen Kommentatoren oder merken inzwischen einfach auch die Medien, dass sich ein Großteil des Publikums nach den alten Zeiten zurücksehnt?
Was DAZN da gemacht hat war eine nette Marketing-Idee. Nicht mehr, nicht weniger. Ich fand es sehr aufregend, zumal ich ja nie ein TV-Kommentator war. Hat aber ganz gut geklappt. Nur die neutralen Beobachter und die Union-Fans kamen nicht ganz so gut mit meiner parteiischen Kommentierung klar. Es war wohl vorher nicht ausreichend kommuniziert worden, dass auf meinem Kanal eine blau-weiß gefärbte Reportage zu hören war. Die „normalen“ Kommentatoren waren ja über einen anderen Button einzuschalten. Mit unserem Einsatz sollte zwar etwas Nostalgie verbreitet werden, ich nehme allerdings nicht wahr, dass sich ein Großteil des Publikums nach den alten Zeiten zurücksehnt. Es wurde früher nicht durchgängig besser kommentiert, lediglich anders. Zwei Punkte habe ich trotzdem zu kritisieren: Ich möchte nicht ständig angeschrien werden und ich habe auch keine Lust auf Gags, denen man es schon auf hundert Metern Entfernung anmerkt, dass sie vorher ausgedacht und aufgeschrieben wurden. Ich mag sowas nicht und bin da sehr für Spontaneität.
Wenn ich heute Fußball im Radio höre fehlen mir oft die unverkennbaren Stimmen und die Kommentatoren scheinen nicht mehr so spontan zu sprechen. Hat sich auch die neue Kommentatorengeneration an den modernen Fußball angepasst?
Es gibt schon immer eine Sehnsucht bei etwas älteren Menschen, die Vergangenheit zu verklären. Mit geht es oft so, wenn ich Kollegen von damals treffe. Da zieht sich dann wie ein roter Faden durch die Gespräche: Früher war alles besser. Ich weigere mich, da mitzuspielen. Allerdings erwarte ich auch, dass ich, wenn ich etwas zu kritisieren habe, ernst genommen werde. Da habe ich schon erlebt, dass nicht über Inhalte gesprochen wird, sondern, zumindest durch die Blume, die Ansage kommt: Du bist einfach zu alt, um dieses oder jenes noch angemessen beurteilen zu können. Also, ich werde mich hüten, pauschale Urteile über eine komplette Kommentatorengeneration zu fällen. Zwei kritische Anmerkungen habe ich ja schon eben gemacht.
Heute sind Interviews mit Fußballern häufig ohne echte Aussage, wirken komplett durchorganisiert. Früher hatte man das Gefühl, dass im Profifußball ehrlicher die eigene Meinung vertreten wurde. Kannst du das bestätigen?
Fußballer durchlaufen heute oft eine Rhetorik-Schulung. Und sie haben Angst mit Aussagen anzuecken und durch den medialen Wolf gedreht zu werden. Also kommen oft unverbindliche Sprechblasen. Da möchte man schon gar nicht mehr zuhören. Aber auch hier möchte ich die Vergangenheit nicht verklären. Dass mal einer richtig Tacheles redet, war auch vor dreißig Jahren eher die Ausnahme.
Vergleiche doch bitte mal die Fußballer von vor 30 Jahren mit den heutigen Spielern?
Früher gab es, speziell im Bildungsbürgertum, das beliebte Vorurteil vom doofen Fußballer. Das hat schon damals nicht durchgängig gestimmt, die Fußballer stammten zwar mehr als heute aus dem Proletariat, aber das hieß noch nie, dass die Jungs dumm waren. Obwohl es einige gab, die die Schlauheit nicht mit Löffeln gefressen hatten. Ich erinnere nur an die Geschichte des Nationalspielers Horst Szymaniak, dem ein Drittel mehr Gehalt angeboten wurde und er bestand aber darauf, mindestens ein Viertel mehr zu bekommen. Heute bilden die Fußballer die Gesellschaft in all ihren Facetten ab. Viele sind besonders in den ökonomischen Dingen weit vorn und kennen sich bestens bei den Börsenkursen aus.
Auf dem Platz sind sie schneller und athletischer als ihre Vorgänger, können häufig verschiedene Positionen perfekt ausfüllen. Taktisch wird von ihnen verlangt, dass sie verschiedene Systeme beherrschen. Und der Torwart sollte gleichzeitig auch ein guter Fußballer sein, der manchmal als letzter Mann vor dem Strafraum eingreifen muss und von dort auch das Spiel eröffnet.
Du schreibst auch Bücher. Du könntest doch sicher ganze Bücher mit deinen Erlebnissen und Geschichten aus deiner Zeit als Kommentator füllen. War dieser Gedanke schon einmal vorhanden?
Ich habe zwei Krimis geschrieben, zwei Fußballbücher und eines, in dem es tatsächlich um mich geht. Das Buch heißt „Mein Leben als jugendlicher Draufgänger“. Das Schreiben hatte etwas Therapeutisches, denn dort habe ich Kindheits- und Jugenderinnerungen aus meiner Heimat im Ruhrgebiet aufgeschrieben. Das größte Kompliment war immer für mich, wenn Leserinnen und Leser meiner Alterspreisklasse mir sagten: Da hast du die Fünfziger, Sechziger und Siebziger prima getroffen, so ähnlich war es bei mir auch. Ich werde aber mit Sicherheit kein Buch über meine Heldentaten am Mikrofon und die Erlebnisse mit den Fußball-Größen schreiben. Das ist einfach nicht mein Ding. Das sollen andere so machen, ich tu’s nicht. Und jetzt der Werbeblock: Im Mai erscheint ein Buch unter dem Titel „Manni Bananenflank, ich Kopfball, Tor!“ Das ist die Neuauflage eines Werkes aus dem Jahre 2009, in dem spektakuläre Fußballspiele aus dem Munde von Protagonisten beschrieben werden. Ich habe zu jedem Spiel einen hoffentlich schwungvollen und originellen Kommentar geschrieben. Das Buch ist nicht nur aktuell überarbeitet, sondern auch mit neuen Szenen aus den letzten zehn Jahren ergänzt worden.
Mario Basler füllt ganze Veranstaltungssäle mit den Proll-Geschichten aus seinem Fußballerleben. Du könntest quasi mit deinen Geschichten das anspruchsvollere Publikum bedienen. Gute Idee oder ist man als Radiokommentator lieber „unsichtbar“?
Für die Antwort habe ich eine Bedingung: Ich möchte nicht mit Mario Basler verglichen werden. Das macht weder fußballerisch noch von der Art der Bühnendarbietung einen Sinn. Aber eines stimmt, ich trete tatsächlich des Öfteren mit Vorträgen auf, in dem ich Anekdoten aus meinem Reporterleben und aus dem Fußball vergangener Tage erzähle. Das ergänze ich dann noch mit Bemerkungen über die explodierende wirtschaftliche Entwicklung im Fußball. Am Schluss steht dann immer meine persönliche Hitparade der Fußballersprüche. Eigenlob stinkt, aber der Vortrag kommt immer sehr gut an. Vor allen Dingen gibt es viel zu Lachen.