"In Lautern gab es schon immer diese besondere Stimmung..."
Marcel Witeczek begann seine Profikarriere bei Bayer 05 Uerdingen. 1991 ging er zum amtierenden deutschen Meister nach Kaiserslautern, ehe er beim FC Bayern selbst deutscher Meister und sogar UEFA-Cupsieger wurde. Seine letzte und gleichzeitig längste Station in der Bundesliga war Borussia Mönchengladbach.
von Nico Petrowsky
Marcel Witeczek, bevor wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, möchten wir gerne wissen was Sie im Anschluss an Ihre Karriere gemacht haben und was Sie heute beruflich machen?
Nach meiner Karriere habe ich bei der AOK Rheinland/Hamburg angefangen und bin immer noch dabei. Also ich habe keinen Vereinswechsel oder Ähnliches mehr vorgenommen.
Sie sind in Polen geboren und kamen als 13-Jähriger nach Deutschland, nachdem Sie hier Urlaub machten und nicht mehr zurückgekehrt sind. Wie schwer war es für Sie als Teenager in einem neuen Land?
Die damaligen Zeiten waren noch etwas anders. Da war es ein wenig einfacher als „Flüchtling“ aufzuwachsen. Ich habe schnell Deutsch gelernt und durch den Fußball ist mir auch vieles leichter gefallen.
Also hat Ihnen der Fußball geholfen, in Deutschland Freunde zu finden und akzeptiert zu werden?
Das hat mir sehr geholfen. Man lernte schnell Deutsch, weil man im Verein eben Deutsch sprechen musste. Und auch sonst war es durch den Fußball einfacher, sich im neuen Umfeld zurecht zu finden.
Sie spielten bei RW Oberhausen in der Jugend, ehe Sie Bayer Uerdingen mit 16 Jahren nach Krefeld lotste. Dort bekamen Sie eine Ausbildungsstelle und Ihr Vater einen neuen Job. Konnten Sie das Angebot überhaupt ablehnen?
Ja, ich hatte zu diesem Zeitpunkt ungefähr zehn Angebote von Vereinen, die mich haben wollten. Ich konnte mir den Verein im Prinzip aussuchen. Ich habe damals auch schon Jugendnationalmannschaft gespielt und z.B. auch Angebote aus Hamburg, München und Dortmund gehabt. Für meinen beruflichen Weg war die Entscheidung nach Uerdingen zu gehen sehr hilfreich.
Bayer Uerdingen galt damals als gute Adresse im deutschen Fußball und Sie unterschrieben Ihren ersten Profivertrag. Mit 17 Jahren wurden Sie erstmals in der Bundesliga eingesetzt. Glauben Sie im Nachhinein, dass der Profifußball zu früh für Sie kam oder war der Druck und die Öffentlichkeit kein Problem für Sie?
Einfach war es natürlich nicht, aber zu früh würde ich auch nicht sagen. Wenn man die Qualitäten, den richtigen Trainer und auch ein bisschen Glück hat, dann kann man auch mit 17 schon in der Bundesliga spielen. Das ist heute ja schon überhaupt keine Seltenheit mehr.
Wie hat Sie Ihr damaliger Trainer Kalli Feldkamp auf das „kalte Wasser“ im Profifußball vorbereitet?
Der hat sich für die jungen Spieler, von denen wir viele hatten, sehr viel Zeit genommen. Er hatte da ein gutes Händchen und konnte die jungen Spieler optimal vorbereiten. Er hat sich um uns gekümmert und es wurden auch ältere Spieler als Ansprechpartner auserkoren. Das war schon ein Glücksfall.
Markus Schupp erzählte uns in einem Interview, dass Feldkamp 1990 beim FCK so hart trainieren ließ, dass am Wochenende nur die härtesten Spieler im Kader waren. Wie haben Sie ihn als Trainer erlebt?
Ich empfand das Training gar nicht so hart, da kenne ich noch ein, zwei andere Trainer, die viel härter trainiert haben als Feldkamp. Wenn ich an Rolf Schafstall denke, da war das Training ein wenig anders. Dessen Co-Trainer war ein Zehnkämpfer und da sind wir extrem viel gelaufen. Oder auch Felix Magath - im Gegensatz zu den Trainingseinheiten bei ihm, waren die von Kalli Feldkamp nichts.
Kurz nach Ihrem 18. Geburtstag standen Sie schon im Europapokal gegen den FC Barcelona in der Startelf. Mussten Sie nicht aufpassen, dass sie nach diesem rasanten Aufstieg auf dem Boden blieben? Wer hat Sie geerdet?
Eigentlich nicht, ich hatte auch ein gutes Umfeld. Ich hatte da keine Probleme mit. Auch mit dem Trainer, der uns alle ein wenig geerdet hat, war das kein Problem. Mein erstes Auto mit 18 war ein Ford Fiesta mit 45 PS, da würde man sich heute ja totlachen. Aber so war das eben. Da hat der Trainer angerufen und dir gesagt, welches Auto du nehmen sollst.
Für Barcelona standen Weltstars wie Zubizarreta, Gary Lineker oder Mark Hughes auf dem Platz. Welche Rolle spielt Ehrfurcht in solchen Spielen? Vor allem, wenn man noch so jung ist.
Das war schon sehr spannend und aufregend für mich. Das einzig Positive gegen die Aufregung war, dass das Stadion relativ leer war. Wir hatten zwar nicht so viele Chancen, aber haben uns auch nicht so viel ausgerechnet und dafür haben wir eigentlich ganz gut mitgespielt. Es war schon eine große Nummer in der ersten Runde direkt auf Barcelona zu treffen. Aber es war auch eine große Ehre bei so einem Spiel dabei zu sein. Ich kann mich auch noch dunkel daran erinnern, dass wir die Chance auf das 1:0 hatten, aber am Ende verloren wir mit 0:2.
Obwohl Sie es inzwischen zum Stammspieler bei den Profis geschafft hatten, halfen Sie der A-Jugend von Uerdingen im Finale um die deutsche Meisterschaft gegen Eintracht Frankfurt aus und trafen zum 2:1-Sieg. Empfanden Sie es als Degradierung in der A-Jugend zu spielen?
Da gab es eine Absprache. Wenn es ging, habe ich schon in der Saison gegen die besseren Mannschaften einige Spiele gemacht. Gegen Gladbach und Düsseldorf habe ich auch mitgespielt. Die Endrunde war dann schon nach dem Ende der Profisaison. Deswegen konnte ich dann bei der A-Jugend die Endrunde noch durchspielen. Ich habe zwar nicht alle Spiele gemacht, aber einige. Ich musste bei der ersten Mannschaft also eigentlich nicht verzichten, sondern es war eher noch ein Zusatz.
Bereits als 19-Jähriger wollte Sie der damalige Spitzenclub AS Monaco unter Vertrag nehmen. Warum haben Sie das Angebot nicht angenommen? Reicher Topclub im Süden, direkt am Meer. Andere Spieler aus der Bundesliga wären zu Fuß dorthin gegangen.
So ein Wechsel wäre mit 19 vielleicht etwas zu früh gekommen und hätte meiner Karriere eventuell sogar einen Abbruch gegeben. Also ich bereue es nicht und war froh, dass ich in der Bundesliga geblieben bin.
Stattdessen haben Sie Uerdingen erst nach dem Abstieg 1991 verlassen und schlossen sich dem 1. FC Kaiserslautern an, dem amtierenden deutschen Meister. Warum haben Sie sich für den FCK entschieden? Es gab sicher Angebote aus interessanteren Städten.
In Lautern gab es schon immer diese besondere Stimmung und auch mein Ex-Trainer, Kalli Feldkamp, hat sehr um mich gebuhlt, was natürlich ein Vorteil für mich war. Feldkamp kannte mich und meine Spielweise und dementsprechend ist es mir dort auch leicht gefallen Fuß zu fassen.
In Kaiserslautern waren Sie direkt absoluter Stammspieler und im Herbst 1991 spielten Sie in der Champions League erneut gegen den FC Barcelona. Im Camp Nou waren 65.000 fanatische Fans und der FCK hatte nur wenig entgegenzusetzen bei der 0:2-Niederlage. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Spiel?
Das war schon sehr bitter, weil ich eigentlich etwas gut machen wollte. Wegen der Niederlage mit Uerdingen, wollte ich mit Kaiserslautern dieses Mal besser gegen Barcelona spielen, aber es war sehr schwierig, weil die eine richtig gute Mannschaft hatten. Wir hatten zwar auch unsere Chancen, aber haben letztendlich verdient mit 2:0 verloren.
Haben Sie noch an ein Weiterkommen vor dem Rückspiel auf dem Betzenberg geglaubt?
Das schon. Wenn man zur damaligen Zeit auf dem Betze gespielt hat, da gab es nur wenige Mannschaften, die dort gewinnen konnten. Also ich war zwei Jahre da und kann mich vielleicht an zwei Niederlagen auf dem Betzenberg erinnern. Dementsprechend war der Glaube absolut noch da.
Dramatischer kann man nicht ausscheiden. Nachdem der FCK ein Feuerwerk abgebrannt hatte und 3:0 führte, köpfte Bakero in der 90. Minute aus dem Nichts den Anschlusstreffer, der das Aus für Kaiserslautern bedeutete. Was fühlten Sie nach diesem K.O.?
Das war ein Schlag in die Magengrube. Das Tor fiel wirklich aus dem Nichts und wir waren schon fast eine Runde weiter. Das war nicht nur für uns, sondern auch für die Fans ein sehr bitterer Moment. Dennoch war es eins der emotionalsten Spiele dort oben. Die Fans haben mitgefiebert und es war für uns Spieler sehr prägend.
Der Betzenberg war an diesem legendären Abend schon vor dem Anpfiff ein Kunstwerk aus roten Bengalos, Rauch und extremer Lautstärke. Nimmt man als Spieler richtig wahr was auf den Rängen passiert oder ist man zu konzentriert auf das Spiel?
Vor dem Spiel auf jeden Fall. Man ist von der Atmosphäre schon sehr angetan. Wenn das Spiel losgeht blendet man eigentlich alles aus, aber vor dem Spiel war das für die Mannschaft sehr motivierend. Das Erstaunliche war, dass wir dann am Wochenende gegen Köln gespielt haben und als wir da auf den Rasen kamen, war das Stadion brechend voll bis unters Dach und die Fans haben gesungen und gefeiert. Das war unglaublich, dass die nach dieser Niederlage trotzdem alle gekommen sind und für so eine Stimmung gesorgt haben. Da bekam ich richtig Gänsehaut.
Nach nur zwei Jahren beim FCK wechselten Sie zum FC Bayern. Auch dort setzten Sie sich gegen starke Konkurrenz durch. Sie wurden von Juniorennationaltrainer Berti Vogts schon Ende der 80er als die kommende Hoffnung in der Nationalmannschaft betitelt, Sie waren überall wo Sie waren Stammspieler und haben immer Ihre Leistungen gebracht. Wie enttäuschend war es für Sie, dass Sie nie für die Nationalmannschaft berufen wurden?
Im Grunde genommen gar nicht. Es gab mit Klinsmann, Völler, Allofs usw. keinen Mangel an Stürmern und deswegen bin ich nicht traurig, dass ich jetzt nicht berufen wurde. Natürlich hat man gehofft, dass man mal dabei ist, aber letztendlich waren die anderen einfach besser, darüber muss man nicht diskutieren. Die Auswahl war einfach groß und es gab extrem viele gute Stürmer. Ich hege deswegen keinen Groll und bin mit meiner Karriere sehr zufrieden.
In Ihrem ersten Jahr bei Bayern wurden Sie deutscher Meister. Endlich hat es zum ersten Titel gereicht. Wie haben Sie Ihre erste Meisterschaft gefeiert?
Da haben wir am letzten Spieltag zu Hause gegen Schalke gewonnen und mit der Mannschaft die ganze Nacht durchgefeiert. Wo genau, weiß ich gar nicht mehr.
Zwei Jahre später 1996 trafen Sie zum dritten Mal auf den FC Barcelona. Im UEFA-Cup Halbfinale waren Sie mit zwei Toren der entscheidende Mann für den Finaleinzug. Im Rückspiel vor 115.000 Zuschauern trafen sie im Camp Nou zum entscheidenden 2:0 kurz vor Schluss. Welche Erinnerungen haben Sie noch an dieses Spiel?
Das war eine kleine Genugtuung für mich. Zum dritten Mal gegen Barcelona antreten und zum dritten Mal ausscheiden war nicht akzeptabel für mich. Da musste ich sehen, dass ich alles gebe. Wir hatten eine gute Mannschaft und haben auch gut gespielt, deswegen sind wir auch verdient weitergekommen.
Im Finale bezwangen Sie Girondins Bordeaux und holten somit Ihren ersten europäischen Titel. Ein Jahr später wurden Sie erneut deutscher Meister. Obwohl Sie immer noch fester Bestandteil der Mannschaft waren, wechselten Sie zu Ihrer letzten Bundesliga-Station nach Mönchengladbach. Was waren die Gründe, dass Sie vom Spitzenclub Bayern zur damals eher zum unteren Bundesliga-Niveau gehörenden Borussia wechselten?
Es war schwierig, mich bei Bayern immer wieder zu behaupten, auch weil ich einer der wenigen Nicht-Nationalspieler war. Ich war auch kein absoluter, unumstrittener Stammspieler, sondern musste mich immer gegen starke Konkurrenz durchsetzen, was nicht immer einfach war. Meine Frau wollte auch wieder nach Hause und nach vier Jahren in München habe ich mich dann eben für diesen Wechsel entschieden. In Gladbach war ich dann auch Stammspieler und in München ist dieser starke Konkurrenzkampf durch neue Spieler immer neu entfacht worden. Im Nachhinein hätte ich vielleicht noch ein bis zwei Jahre in München bleiben sollen. Zu meiner Zeit sind wir immer früh im DFB-Pokal ausgeschieden und vor und nach mir haben die Bayern das Pokalfinale immer erreicht. Somit wäre ich wenigstens einmal in Berlin gewesen. Ich hätte auch unter Trapattoni gerne noch etwas gespielt.
Nun noch einige allgemeine Fragen. Wen würden Sie als Ihren besten Trainer bezeichnen?
Ich würde sagen, dass Trapattoni mir am meisten beigebracht hat, was Technik und Taktik angeht. Bei ihm habe ich meinen schwächeren rechten Fuß fast bis zur Perfektion weiterentwickelt. Und natürlich auch Kalli Feldkamp, der mich hochgebracht hat. Wenn ich meine Stationen mal durchgehe, hatte ich fast jede Saison einen neuen Trainer. Mein erster Trainer, den ich mal länger als zwei Jahre hatte, war Hans Meier bei meiner letzten Station. Ich musste mich dann immer neu einstellen und durchsetzen, weil es immer neue Ideen gab. Deswegen war ich auch so flexibel. Ich habe auch fast jede Position im Laufe meiner Karriere mal gespielt.
Wer war Ihr unbequemster Gegenspieler?
Am Anfang wahrscheinlich Karl-Heinz-Förster und Jürgen Kohler, das waren schon harte Gegenspieler. Das war damals aber auch noch eine andere Zeit, da wurde mal getreten, aber es hat sich niemand beschwert.
Zum Abschluss würde ich Ihnen gerne einige Namen ehemaliger Weggefährten nennen und sie darum bitten, in aller Kürze, aufgrund persönlicher Erfahrungen, etwas zu Ihnen zu sagen.
Stefan Kuntz:
Er hat mir bei Uerdingen sehr geholfen, als er von Bochum kam. Mit ihm war ich zusammen auf einem Zimmer.
Lothar Matthäus:
Der beste Mitspieler, den ich je hatte. Vom Physischen und auch vom Willen.
Oliver Kahn:
Sehr ehrgeizig und verbissen. Ich hoffe, dass er mittlerweile etwas entspannter ist.
Jürgen Klinsmann:
Er wollte schon als Spieler sehr vieles verändern und hat bei Bayern leider sein Glück nicht gefunden.
Mario Basler:
Hatte enorme Qualitäten. Er war sehr spontan und man konnte nie erahnen, was er für verrückte Sachen macht. Er hat der Mannschaft durch seine Fähigkeiten aber sehr geholfen.
Franz Beckenbauer:
Die Figur im deutschen Fußball. Man hat ihm damals als Trainer alles geglaubt. Wenn er sagte: „Ihr gewinnt“ – dann ist das auch eingetreten.
Spielerstationen:
1986 - 1991 Bayer 05 Uerdingen
1991 - 1993 1. FC Kaiserslautern
1993 - 1997 FC Bayern München Deutscher Meister 1994, 1997 / UEFA-Cup 1996
1997 - 2003 Borussia Mönchengladbach